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Maybrit Illner über Flüchtlinge Maybrit Illner über Flüchtlinge: "... oder Europa geht vor die Hunde"

Von Daland Segler 11.09.2015, 04:59
Maybrit Illner sprach in ihrer Sendung über Flüchtlinge.
Maybrit Illner sprach in ihrer Sendung über Flüchtlinge. dpa Lizenz

Frankfurt am Main - Der Mann ist verzweifelt, wie er da steht und den ihn drangsalierenden Polizisten anbrüllt: „Ich will zu Mutter Merkel!“ Wäre die Lage nicht so ernst, man könnte die Szene von der ungarischen Grenze für Satire halten, doch sie wurde im ZDF-„heute Journal“ gezeigt – eine passende Einstimmung zu Maybrit Illners Talkshow danach. Denn zu „Mutter Merkel“ wollen offenbar die meisten der Unglücklichen aus Syrien, Irak oder Afghanistan. „Deutschland hilft – Doch wer hilft uns helfen?“ hieß Illners Thema, und es ging bald weniger darum, ob uns jemand hilft, sondern wie dieses Land sich selbst hilft.  Denn ein Ende dieses „riesigen Experiments“, wie es Vizekanzler Sigmar Gabriel formulierte, ist nicht absehbar.

Fremdenfeindliche Kommentare im Netz

Das schafft offensichtlich Unsicherheit. Ob in den Kommentaren bei „spiegel online“ oder den Zuschauer-Fragen, die Illner einblenden ließ: Immer wieder scheint da, mehr oder weniger ressentiment-geladen, eine Furcht durch,  vor der Menge der Flüchtlinge, vor deren Anderssein, vor dem Verlust des eigenen Wohlstands letztlich. Dabei sind es in diesem Jahr, wenn wirklich 800 000 kommen, nicht einmal ein Prozent der deutschen Bevölkerung. Sigmar Gabriel wies zurecht darauf hin: Libanon hat 1,2 Millionen aufgenommen  bei einer Einwohnerzahl von fünf Millionen (und einer nach jahrelangem Bürgerkrieg erodierten Gesellschaft, wäre hinzuzufügen). Die EU müsse komplett ihre Position ändern, folgerte Gabriel; entweder man komme zur Vernunft, „oder Europa geht vor die Hunde“.

Aber solche Argumente zählen nicht bei einigen osteuropäischen Nachbarn. Richard Sulík aus der Slowakei war geladen Mitglied des Europa-Parlaments und Vorsitzender der Partei Sloboda a Solidarita. Das heißt „Freiheit und Solidarität“, aber die gilt wohl nicht den aus Syrien Vertriebenen. Denn die will Richard Sulík nicht. Er lehnt die Flüchtlings-Aufnahme nach Quoten ab mit der Begründung, das sei nur eine Aufforderung an Schlepper, „die Leute hierher zu schicken“. Stattdessen sollte an den Außengrenzen der EU über Asylanträge entschieden werden, in „Zentrallagern“.

Geist der europäischen Verträge

Sulík verwies, wie bei Illner in der Woche zuvor der ungarische Botschafter, auf die Regeln, die nicht eingehalten worden seien, namentlich das Abkommen von Dublin, nachdem Ankömmlinge in dem Land zu registrieren seien, in dem sie den Boden der EU betreten. Bei den Syrern seien Hoffnungen geweckt durch die Ankündigung Deutschlands, sie nicht zurückzuschicken.  

Das führte zu einem Schlagabtausch mit dem deutschen Minister, weil der die Argumente des Slowaken als „Ausreden“ geißelte und ihm vorwarf, EU-Recht zu ignorieren. Was knapp neben der Sache lag; besser traf Gabriels Argument, dass Sulíks Haltung den Geist der Europäischen Verträge missachte.  

Es war Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), der das Wort aussprach, das  Sulík wohl nicht einfallen konnte: der Zuzug von Flüchtlingen sei eine „humanitäre Frage“.  Darum – und damit um innerdeutsche Probleme – ging es im Wesentlichen dann auch: Franziska Giffey, SPD-Bezirksbürgermeisterin in Berlin-Neukölln, berichtete von den Schwierigkeiten für Flüchtlinge einerseits, Schulen und Vereine andererseits, wenn etwa Turnhallen und Schulen als Notaufnahmelager dienen müssten. Und dabei bleibe es nicht: Welche Perspektiven könne man den Menschen bieten?

Was fehlt? Menschen und Geld

In den Antworten darauf wurden vor allem drei Dinge klar: Es geht vieles zu langsam, es fehlt an Menschen („Wir brauchen 2000 Entscheider“, so Gabriel) und – an Geld. Auf Illners Frage, ob der nun beschlossene Betrag von sechs Milliarden erhöht werde, wiegelte Gabriel ab: Man habe die Summe ja gerade verdreifacht, im übrigen sei eine dynamische Finanzierung notwendig.

„Wir müssen auch den Menschen im eigenen Land helfen“, formulierte Bayerns Finanzminister Markus Söder (CSU), und die deutschen Teilnehmer der Runde waren sich in diesem Punkte einig. Man müsse bezahlbare Wohnungen für alle bauen, befand Gabriel, der offensichtlich den Eindruck vermeiden wollte, man könne Flüchtlinge und Einheimische gegeneinander ausspielen. Franziska Giffey spitzte das zu: Wenn nicht rascher gehandelt werde, treibe das diejenigen, die sich eh benachteiligt fühlten, in die Arme der Rechten. Spracherwerb und Ausbildung seien möglichst bald nach Ankunft anzubieten, pflichtete Eric Schweitzer bei – und deutete gleich die Schwierigkeiten an: Zwei Drittel der Ankömmlinge seien nicht qualifiziert, und die Zahl der in den Arbeitsmarkt integrierten Flüchtlinge liege bei zwölf Prozent. Einen Grund dafür ließ der Gast aus Syrien erkennen: Wajih Albunni will als Elektro-Installateur arbeiten, aber ihm fehlt ein Dokument „im Original“. Da kann er der von Söder geforderten „Mitwirkungskultur“ kaum nachkommen.

Immerhin waren sich der CSU-Mann und der Sozialdemokrat einig darin, dass sich Deutschland angesichts der hervorragenden Wirtschaftslage die Aufnahme der Flüchtlinge leisten könne. Und so war am Ende die Titel-Frage der Sendung beantwortet, obwohl es niemand ausgesprochen hatte: Wer hilft uns helfen? Niemand.

 

Maybrit Illner, von Donnerstag, 10. September, 22.15 Uhr. Im Netz: ZDF Mediathek.