Martin Walser wird 80 Martin Walser wird 80: Empfindsam und zitternd vor Kühnheit
Leipzig/MZ. - Der Stürmer und Dränger vom Bodensee. Ein Überempfindlicher, der sich nicht in den Dienst der Empfindlichkeiten anderer stellen lassen will. Der wie seine Figuren, die gern einsilbige Namen wie Zürn, Halm oder Horn tragen, schwer unter Abhängigkeiten leidet, die der Einzelne nicht selbst beeinflussen kann. Ein Streiter, "zitternd vor Kühnheit", wie eine seiner Lieblingswendungen lautet.
Am Sonnabend vor 80 Jahren wurde Walser, der in über 20 (!) Romanen die Welt der Westdeutschen porentief behandelte, als Sohn eines Gastwirts in Wasserburg am Bodensee geboren. Katholisch, sesshaft, verheiratet, vier Töchter - kurzum, sehr lebendig: Das ist Walsers Milieu. Kleine Leute, die klug, aber selten gestaltungsmächtig sind, denen sich der Alltag als "Folge minimaler Gemeinheiten" zeigt. Nachzulesen in Erfolgsbüchern wie "Ehen in Philippsburg", "Ein fliehendes Pferd" und "Angstblüte" zuletzt.
Dass dieser Schriftsteller seinen 80 Geburtstag in Leipzig feiert, ist wiederum kein Zufall. "Deutschland" war Walser stets mehr als ein nur politischer Begriff. 1977 bekannte er in einer Rede: "Wir dürften die BRD so wenig anerkennen wie die DDR. Wir müssen die Wunde namens Deutschland offenhalten." Andere Wunden schließen sich nicht. Im Blick auf seine Paulskirchenrede von 1998, in der Walser die Nennung von Auschwitz als "Moralkeule" bezeichnete, sagt er heute: "Ich war so verkrampft, so erbittert, so verbohrt, dass ich auf Bubis' Angebot, den Brandstifter-Vorwurf zurückzunehmen, völlig borniert reagiert habe."
"79 plus": Lesung und Gespräch mit Walser, Schauspielhaus Leipzig, Sonnabend 20 Uhr