Martin-Gropius-Bau Berlin Martin-Gropius-Bau Berlin: Sterben und Leben der großen Stadt New York
Berlin/MZ. - "Here is New York" heißt die Foto-Ausstellung,die am vergangenen Wochenende im Martin-Gropius-BauBerlin eröffnet wurde und dort bis zum 7. Oktoberan die Ereignisse vom 11. September 2001 inNew York erinnert. Drei weitere deutsche Städtewollen bis zum neuralgischen Datum ebenfallsDependancen des Projektes eröffnen, das aufeine Privat-Initiative des Autors MichaelShulan, der Kunstwissenschaftler Alica Roseund Charles Traub sowie des Magnum-FotografenGilles Peress zurückgeht. Gemeinsam hattendie Intellektuellen ihre Mitbürger eingeladen,Fotografien von der Zerstörung des World TradeCenters und von den Rettungs- und Aufräumungsarbeiteneinzuschicken. Versprochen wurde jedem Teilnehmerdie anonyme Erfassung von mindestens einemBild in der Kollektion. Der Untertitel "DieDemokratie der Bilder" war konzeptionellerAnsatz und ästhetische These zugleich.
Bewiesen wird mit der Berliner Ausstellung,die eine Auswahl von 500 der rund 7000 Dokumentezeigt, zumindest die biografische Zersplitterungeiner aus der Ferne scheinbar monolithischenKatastrophe. Denn diese Schau beginnt dort,wo die stereotypen Bilder der Kamerateamsenden - hinter den Fenstern der Bewohner vonManhattan, auf den Dachterrassen der Wolkenkratzerund an den Ufern von Ellis Island. An diesenOrten sind die schwarzen Schwaden über denZwillingstürmen oft nur Kulisse für Alltags-Aufnahmen.Sie spiegeln sich im Schminktisch einer jungenFrau oder verdunkeln den Horizont hinter einerGlastür, vor der eine New Yorkerin telefoniert.
Es ist, als wollten die Fotografen geradediese Normalität in einem Ausnahmezustandbehaupten, dessen Dauer und Folgen zu diesemZeitpunkt für niemanden absehbar war. Erstspäter, nach dem Kollaps der Hochhäuser, richtetensich die Objektive vermehrt auf Miniaturen,in denen die Größe des Verbrechens symbolischaufgefangen wird.
Es ist das größte Verdienst der bewusst aufimprovisierten Leinen gehängten Ausstellung,dass sie einem widersprüchlichen Chor derZeugen Raum gibt, von denen jeder seine eigeneGeschichte des 11. September erzählen kann.Das Prinzip der Anonymität sichert dabei eineschonungslose Ehrlichkeit und eine absoluteGleichberechtigung zwischen namhaften Profisund engagierten Laien. Auffällig ist dennochdie Mischung von kunstlos authentischen Schnappschüssenund raffiniert kalkulierten Motiven, die nochim Angesicht einer existenziellen Bedrohungvon gestalterischer Ambition zeugen. Der einzigenamentlich erwähnte Fotograf des Projektes,Bill Bigart, der zu den Opfern des Attentatszählte, hielt noch während seiner letztenAugenblicke das dramatische Geschehen fest.Die Bilder wurden aus seiner Kamera geborgen.
Es ist diese Ambivalenz aus Sensationslustund Zeitzeugenschaft, die ein paradoxer Beitragfokussiert: Fotografiert wurde hier ein Transparent,das mit roter Schrift auf gelbem Grund alljene anklagt, die den tödlichen Terroraktauf Zelluloid bannen. In diesem einen Bildbündeln sich Größe und Grenzen eines Unternehmens,das auch in seinen Schlagschatten noch Zeittypischeserzählt. So können Abzüge der Bilder nichtnur für 25 Dollar im Internet bestellt werden,eine Berliner Boulevard-Zeitung bat im Vorfeldder Ausstellung zudem ihre Leser um eigeneNew-York-Bilder. Nun sieht man also auch deutscheTouristen im "Big Apple" - die Wiederkehrder Tragödie als Farce.