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Marianne Faithfull wird 70 Marianne Faithfull wird 70: Dunkle Diva mit tiefen Falten

Von Steffen Könau 28.12.2016, 19:13
Marianne Faithfull: Jede Falte und jedes Lied erzählt von einem wildem Leben mit unfassbaren Höhen und Tiefen.
Marianne Faithfull: Jede Falte und jedes Lied erzählt von einem wildem Leben mit unfassbaren Höhen und Tiefen. dpa

Halle - Sie spielt das Lied nicht mehr, dessen Text sich doch anhört, als erzähle er nur von ihr. Schon seit Jahren hat Marianne Faithfull, die am Donnerstag ihren 70. Geburtstag feiert, das Stück „Ruby Tuesday“ wieder aus ihren Live-Programmen gestrichen.

Kein „sie wird niemals sagen, woher sie kam“ und kein „gestern zählt nicht mehr, wenn es vorüber ist“. Keine Frage, warum sie so gern frei sein möchte. Und keine Angst vor verlorenen Träumen, die Marianne Faithfull einst besungen hatte, als sie sich gerade aus dem dritten Abgrund einer Karriere kämpfte, die nie eine war. Sondern immer ihr ganzes Leben.

Marianne Faithfull wird nach ihrer Entdeckung durch Rolling-Stones-Produzenten Andrew Loog Oldham zu einer öffentlichen Figur

Schon am Anfang, als die Tochter einer Mutter aus dem österreichisch-ungarischen Adelsgeschlecht derer von Sacher-Masoch und eines britischen Psychologie-Professors mit kaum 19 bei einer Party der Stones von deren Produzenten Andrew Loog Oldham entdeckt wird, gibt es keine private Marianne mehr, die hinter der öffentlichen Person der Faithfull verschwinden kann.

Der „Engel mit den großen Titten“, wie Oldham sie nennt, bekommt „As tears go by“ vorgesetzt, ein fertiges Lied der Stones. Die blonde Schönheit singt es seltsam teilnahmslos auf eine eilig dahinhoppelnde Soundtapete. Und landet einen Riesenhit.

Marianne Faithfull, die eigentlich Marian Evelyn heißt, wird zur Frau an der Seite des Stones-Chefs, der ihr verfallen ist. Jagger schreibt ihr den Song „Wild Horses“ mit den Zeilen „die Dinge, die du haben willst, die kaufe ich dir“. Woraufhin sich Faithfull mit der Drogenballade „Sister Morphine“ revanchiert: „Bitte, verwandle meine Alpträume in Träume“, heißt es da.

Doch es passiert nicht. Marianne Faithfull ist im Aufbruch der Popkultur nur ein Rädchen, das sich mit der großen Bewegung dreht. Angeschickert zieht sie mit dem Stones-Tross um die Welt und ist immer dort, wo Rockgeschichte passiert - etwa in Keith Richards’ Landhaus, als die Polizei das Anwesen stürmt.

Die Beamten finden sie im Drogennebel hingestreckt, Jagger beknabbert sie gerade. Ist aber dann Gentleman genug, ihre Drogen als seine auszugeben. Oder später in Paris, wo sie sich mit Doors-Sängers Jim Morrison denselben Dealer teilt. Morrison stirbt an einer Überdosis, der Dealer Jean de Breteuil wird ihr neuer Freund.

Marianne Faithfull: Am Ende der Zeit mit Rolling-Stones-Sänger Mick Jagger verliert sie die Kontrolle

Marianne Faithfull ist nun wieder eine Randfigur ohne eigene Hits, bedeutsam nur durch ihre Nähe zu den Stars. Sie verliert ein Kind, das sie mit Jagger gehabt hätte. Sie verliert die Kontrolle über ihren Drogengebrauch.

Und sie verliert Jagger, der sich neu verliebt und sie nun nur noch als Imageproblem für seine Band sieht. Faithfull tauscht de Breteuil gegen eine Affäre mit David Bowie, sie wird obdachlos und verliert das Sorgerecht für ihren Sohn, den sie schon mit 18 bekommen hatte.

Erst am Ende des Jahrzehnts ist sie zurück. „Broken English“ heißt das Album, das ihr mit „The Ballad Of Lucy Jordan“ den größten Hit ihrer Karriere beschert. Marianne Faithfull glaubt nun, es wie diese frustrierte Hausfrau Lucy Jordan geschafft zu haben, dem Leben auf den Trichter gekommen zu sein.

Aber die Drogen bleiben, die Karriere, die sie nun auch in Theater und Kino führen soll, stockt. Marianne Faithfull ist mehr Legende als lebendig, ein It-Girl aus der Mode. Die 90er sind ein weiteres verlorenes Jahrzehnt für Marianne Faithfull.

Obwohl seit 1985 drogenfrei, gelingt es ihr nicht, sich eine Karriere wie Jagger, Bob Dylan, Allen Ginsberg, William Burroughs und all die anderen Wegbegleiter ihrer frühen Jahre zu organisieren. Ein paar kleine Filme, noch eine Autobiografie, diesmal mit Geschichten über ihren Vater, der im Zweiten Weltkrieg als britischer Agent in Deutschland spionierte.

Und das Album „Vagabond Ways“, auf dem sie zur Musik von prominenten Freunden wie Roger Waters und Daniel Lanois selbstironisch Lieder wie „File it under fun from the past“ singt. Dann ist es vorüber.

Aber noch nicht vorbei. Denn für den nächsten Anlauf mit „Kissin’ Time“ findet die ehemalige Klosterschülerin endlich Helfer, die sie in eine neue Zeit produzieren. Beck Hansen und Billy Corgan (Smashing Pumpkins), Jarvis Cocker (Pulp), Dave Steward (Eurhytmics) und Damon Albarn (Blur) inszenieren sie als dunkle Diva mit tiefen Falten, keine strahlende Schönheit mehr, sondern ein weiblicher Tom Waits, der mit gebrochener Stimme ein befreites „happiness /no more pain“ singt.

Die Geschichte schwingt noch mit, weil Marianne Faithfull ohne Geschichte nicht sie selber wäre. Aber die Persönlichkeit der Frau, die ganz oben war und tief unten, die Drogen, HIV-Infektion und Krebs, Ruhm und Missachtung überstanden hat, überstrahlt den Ruf der bloßen Muße wichtiger Männer und fotogenen Begleitung.

Marianne Faithfull heute: Auftritt als Diva mit Gehstock

Im Rentenalter kommt Faithfull dort an, wo sie in einer anderen Welt vielleicht früher, vielleicht aber auch gar nicht gelandet wäre. Im Kinofilm „Irina Palm“ liefert Marianne Faithfull als alternde Sex-Club-Hostess dann auch noch den späten Beweis, dass sie nicht nur als Sängerin eine Charakterdarstellerin sein kann.

Nein, sie ist ein Star aus sich selbst heraus, sie füllt Hallen, am Gehstock humpelnd und wie eine Diva rauchend. Sie müsse auftreten, sagt sie. Sie habe ja nichts gespart. „Ich dachte doch nie, dass ich so alt werde.“

Zuletzt hat sie im Pariser Bataclan gespielt, dem Club, in dem Terroristen vor einem Jahr 90 Menschen ermordeten. Marianne Faithfull saß auf einem Stuhl, mit Brille und platinblondem Haar, trank Tee mit Honig und sang „As tears go by“. (mz)

Die Schöne und das Rockidol: Faithfull 1969 mit Mick Jagger
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dpa