Marek Krajewski Marek Krajewski: Zeitreise von Wroclaw nach Breslau
Warschau/dpa. - Denn dort, wo heuteJungakademiker lateinische und griechische Werke studieren, befandsich vor 1945 das Polizeipräsidium. Hier ermittelt Mock als Antihelddes 40 Jahre alten Krajewski, der mit seinem literarischenSeitensprung von der Altphilologie zum Kriminalroman zum bekanntestenKrimi-Schriftsteller Polens avancierte.
Dabei ist Mock so gar kein Sympathieträger. Der Kriminalkommissarmag zwar Vergil und Horaz zitieren, Bridge spielen und sich im«Schweidnitzer Keller» an schlesischen Klößen delektieren. Doch erist auch ein Alkoholiker, der vor brutalen Verhörmethoden nichtzurückschreckt und in seinem im Juni auch auf Deutschveröffentlichten Roman «Kalenderblattmörder» gar die eigene Frauvergewaltigt.
Dass sich nicht nur in Polen eine Fangemeinde um die düster-morbiden Kriminalfälle aus dem Breslau der Weimarer Republik gebildethat, liegt auch an der Liebe Krajewskis zum Detail. Im Stadtarchivrecherchierte der Wissenschaftler in alten deutschen Zeitungen,studierte die Menükarten von Restaurants, Stadtpläne und andereHinweise auf jenes alte Breslau, das Jahrzehnte lang verleugnetwurde.
Nicht nur die kommunistische Regierung nach 1945 erklärte dieniederschlesische Metropole zum urpolnischen Territorium. Schlesien,Pommern, Ostpreußen galten im offiziellen Sprachgebrauch als die«wiedergewonnenen Gebiete». Die Deutschen, die das Leben dortteilweise über Jahrhunderte geprägt hatten, sollten nicht mit ihnenin Verbindung gebracht werden. «Die Steine von Breslau und Stettinsprechen Polnisch!», lautete die Botschaft eines Kirchenführers.
Krajewski ist Breslauer, stolz auf seine Stadt, und er teilt eineErfahrung mit vielen Breslauern seiner Generation: Er ist heimischdort, die Eltern waren Zugezogene, seine Mutter stammt aus jenenostpolnischen Gebieten, die auf der Konferenz von Jalta derSowjetunion zugeschlagen wurden. «Ich habe schon als kleiner Jungegerne alte Karten meiner Stadt studiert, aber es gab dort keinenBezugspunkt zu meiner Familie», erinnerte er sich in einem Interview.«Daher kommt auch meine Besessenheit mit der Entdeckung einer nichtmehr existierenden, zerstörten Stadt.»
Diese Suche nach dem alten Breslau verbindet ihn auch mitehemaligen Einwohnern. So lässt er Kommissar Mock im «SchweidnitzerKeller» speisen, weil ihm ein aus Breslau stammender deutscherKollege erzählt hatte, sein Vater habe ihm immer versprochen: «Wenndu alt genug bist, gehe ich dort mit dir ein Bier trinken.» Einjüdischer Emigrant schrieb ihm aus den USA: «Ich habe im gleichenHaus wie Mock gelebt!» Es gab aber auch schon Leserbriefe vonBreslauer Lesern, die sich mit der düster-zynischen Beschreibungihrer Heimatstadt, mit Koks, Huren und Dekadenz nicht anfreundenkönnen.
«Meine Antwort ist dann, dass dies nun mal in der Natur meinerLiteraturgattung liegt», kontert Chandler-Fan Krajewski. In Polen istgerade sein vierter und vorerst letzter Roman mit Eberhard Mockerschienen, ein Roman, der auch das Ende des alten Breslau zeigt:Die Handlung von «Festung Breslau» spielt in der Apokalypse der Stadtin den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs.