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Schwanengesang Manfred Krug nahm ein Geheimnis mit ins Grab, das jetzt öffentlich wird

Von Steffen Könau 15.10.2018, 08:01
Vom Superstar zum „Aussätzigen“: Zwischen Herbst 1976 und Frühjahr 1977 verlor der Schauspieler und Sänger Manfred Krug die Gunst der DDR-Behörden. 
Vom Superstar zum „Aussätzigen“: Zwischen Herbst 1976 und Frühjahr 1977 verlor der Schauspieler und Sänger Manfred Krug die Gunst der DDR-Behörden.  dpa/Gerhard Pröbrock

Halle (Saale) - Ganz am Ende, die Band um Günther Fischer spielt nur noch ein paar ganz leise und ein bisschen schräge Töne, singt Manfred Krug mit stürzender Stimme ein Abschiedslied. „Alles geht einmal zu Ende“, haucht er. Zwei Minuten nur dauert die kleine Elegie. Dann rauscht rhythmischer Beifall durch den großen Saal des Theaters in Wismar, in dem Krug an diesem 12. April des Jahres 1977 gerade seinen allerletzten öffentlichen Auftritt in der DDR absolviert hat.

Ahnte er es? Wusste er es vielleicht sogar? Wolfgang Schneider, der damals hinter dem Schlagzeug saß, glaubt es nicht. Er selbst jedenfalls, da ist der 73-Jährige, den alle nur „Zicke“ nennen, recht sicher, habe nicht einmal vermutet, dass Krug nach diesem Abend nie wieder auf einer DDR-Bühne stehen wird. Und davon gewusst, dass sein Tontechniker-Kollege Aki Lehmann den Abend auf einem einfachen Tonbandgerät mitschneidet, habe er auch nicht.

„Wir dachten schon, da kommt noch was“, erinnert sich der Mitbegründer des Günther-Fischer-Quintetts, der zwischen Ende der 60er und Ende der 70er Jahre nicht nur Krug, sondern auch internationale Größen wie Etta Cameron, Shirley Basey und Joy Fleming begleitet und die allerletzte Live-Aufnahme von Krugs DDR-Karriere jetzt als CD unter dem Titel „Noch nicht ganz weg“ herausgegeben hat.

Zicke Schneider irrt. Das Tischtuch zwischen Manfred Krug, einem, und dem Staat, den der gebürtige Duisburger nach der von seinem Vater beschlossenen Übersiedlung nach Leipzig lange als den seinen betrachtet hatte, ist zerschnitten.

Manfred Krug lebt in einer Zwischenzeit, seit er im November 1976 seine Unterschrift unter einen offenen Brief an die DDR-Partei- und Staatsführung gesetzt hat, mit dem die Crème de la Crème der DDR-Literatur von Volker Braun über Stefan Heym, von Stephan Hermlin, Günter Kunert, Sarah Kirsch bis Christa Wolf gegen die Ausbürgerung des Liedermachers und DDR-Kritikers Wolf Biermann protestiert.

Manfred Krug war einer der populärsten Künstler der DDR

Krug, damals 39 Jahre alt, mit lichtem Stirnhaar und einem großen Selbstbewusstsein, das auf zahllosen Kino- und Schallplattenhits fußt, ist keiner der Erstunterzeichner. Aber neben der schrillen Nina Hagen zweifellos der populärste Künstler unter den Unterzeichnern. Mit Krug, Renft-Sänger Thomas Schoppe, den Schauspielern Rolf Ludwig, Angelica Domröse und Hilmar Thate verlässt der Protest gegen die SED-Führung die Schreibstuben und er erreicht die Popkultur.

Wie eine Welle schließen sich weitere Stars an: Liedermacher Kurt Demmler und Jazz-Königin Uschi Brüning, Krugs Bandleader Günther Fischer, der Schauspieler Armin Mueller-Stahl, die Jazz-Ikone Klaus Lenz und die Pop-Größen Reinhard Lakomy und Angelika Mann. Man identifiziere sich „nicht mit jedem Wort und jeder Handlung Biermanns“, heißt es da, gerichtet an Staats- und Parteichechef Erich Honecker, und man distanziere sich auch von Versuchen, „die Vorgänge um Biermann gegen die DDR zu missbrauchen“.

Doch der nach einem Konzert in Köln an der Rückkehr in die DDR gehinderte Sänger habe nie „Zweifel daran gelassen, für welchen der beiden deutschen Staaten er bei aller Kritik eintritt“. Deshalb bitte man darum, „die beschlossene Maßnahme zu überdenken.“

Als aus Krug, dem DDR-Star, ein „Aussätziger“ wird

So diplomatisch der Ton, so verbindlich scheint noch die erste Reaktion. Werner Lamberz, der als Kronprinz Honeckers geltende Propagandachef der SED, setzt sich mit einigen der Briefunterzeichner zusammen. Die sehen sich als solidarische Kritiker der DDR, als Bürgerinnen und Bürger, die den Arbeiter- und Bauernstaat besser machen wollen. Auch Manfred Krug glaubt sich in dieser Rolle. Doch die Realität belehrt ihn in den folgenden Monaten eines Besseren.

Aus Krug, dem Superstar der DDR, dessen Tourneeabstecher in den Halle-Neustädter „Treff“ eine Anzeige in der halleschen Tageszeitung „Freiheit“ noch im Dezember 1976 mit „zwei Konzerte, auf Grund der hohen Nachfrage!“ bewirbt, wird ein „Aussätziger“ (Krug), ein Paria, den Bekannte meiden, dem fest gebuchte Engagements abgesagt und üble Gerüchte hinterhererzählt werden.

Für Manfred Krug, seit 14 Jahren mit Ehefrau Ottilie verheiratet und Vater dreier Kinder, ein Absturz in tiefste Verzweiflung. In den Wochen nach seinem Biermann-Protest, der nicht zum geforderten „Überdenken der Maßnahme“ durch Honecker führt, beendet das DDR-Fernsehen die Zusammenarbeit mit seinem Zugpferd. Die staatliche Filmfirma Defa zieht seinen aktuellen Film „Feuer unter Deck“ aus dem Angebot zurück. Die staatliche Konzertagentur sagt eine Tournee durch Westdeutschland ab. Und die Plattenfirma Amiga will nun doch keine Schallplatte mit Krugs großen Erfolgen veröffentlichen, obwohl die LP längst fertig ist.

Manfred Krug war plötzlich lebender Toter der DDR-Unterhaltungskunst

Von 15 Konzerten, die er gemeinsam mit Günther Fischers Quintett auf seiner DDR-Tour hat spielen sollen, klagt Krug in Wismar, seien nur eine Handvoll geblieben. Alle anderen: Abgesagt. Krug ist ein lebender Toter der DDR-Unterhaltungskunst, noch da, aber nur als sein eigener Schatten. „Wenn die mächtigen Männer im Land, die ängstliche Männer sind, mit dir schmollen“, schreibt er in sein Tagebuch, „wird’s gefährlich, denn, das weiß jeder, Macht und Angst, das ist ein fürchterliches Gemisch.“

So weit es geht, macht Krug dennoch weiter wie bisher. Er weiß nicht, dass die Karten für sein Konzert in Wismar nicht wie üblich verkauft, sondern „über die Betriebe vergeben wurden“, wie ein Stasi-IM namens „Emil“ an seinen Führungsoffizier bei der für die „Sicherung des Bereiches Kultur“ zuständigen Hauptabteilung XX berichtet. Hundert der knapp 500 Fans im Saal sind Stasi-Mitarbeiter, die, so Krugs Sohn Daniel nach Studium der Akte, „ohne Leidenschaft für die Musik mit dem Auftrag antraten, Ablehnung und Desinteresse zu bekunden.“

Seinen Vater jedoch stört das an jenem historischen Aprilabend offenkundig wenig. Manfred Krug ist aufgeräumter Stimmung, er singt beseelt und er scherzt und schickt immer wieder Spitzen gegen die staatlichen Institutionen aus, die IM Emil in seinem Konzertprotokoll als absichtliche „Zweideutigkeiten“ notiert. „Direkte Anspielungen auf Biermann machte er nicht“, heißt es in der Stasi-Akte weiter. Gefahr lauert anderswo: So habe Krug die offiziell krankheitsbedingte Schließung der Theaterkantine am Veranstaltungsabend kritisiert. Er „habe die Frau, die die Kantine bewirtschaftet, bei einem Stadtbummel quietschfidel gesehen.“

Die DDR und Manfred Krug, sie werden nicht mehr zusammenkommen. Sieben Tage nachdem Krug in Wismar zum letzten Mal sein „Alles geht einmal zu Ende“ gesungen hat, geben Ottilie und Manfred Krug ihre Ausreiseanträge bei den Behörden ab. Acht Wochen später verlässt die Familie die DDR, die nach der Ausreisewelle einer ganzen Künstlergeneration nie mehr dieselbe sein wird wie zuvor. (mz)

›› Manfred Krug, Günther-Fischer-Quintett, Noch nicht ganz weg - das letzte DDR-Konzert, Edel

›› Hommage an Manfred Krug live, mit Fanny Krug, Uschi Brüning und Charles Brauer, 19. Oktober 2018, Halle, Konzerthalle Ulrichskirche.