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Magdeburg Magdeburg: Den Figuren wachsen Geschwüre statt Flügel

Von ANDREAS HILLGER 16.07.2010, 18:20

MAGDEBURG/MZ. - Es ist eine seltsame Versammlung, die dem Besucher im Magdeburger Kloster Unser Lieben Frauen entgegentritt: nahezu lebensgroße Figuren in wechselnder Tönung, die ihre geistlichen Attribute demonstrativ ausstellen. Der violette Markus trägt Krallenhandschuhe zu seiner Schweinsnase, der orangefarbene Mauritius hält das Haupt verkehrt herum unter dem Arm und die gelbe Balbina ertastet den üppigen Bartwuchs unter ihrem Kinn.

Blick auf Frömmigkeit

Den drei lindblauen Erzengeln Gabriel, Raphael und Michael aber wuchern Geschwüre aus ihren Schulterblättern - Andeutungen von Flügeln, die eher behindernd als beschwingend wirken. "Kanon" hat Günter Unterburger seine Skulpturengruppe genannt, die in dem alten Gewölbe wie eine Reihe von Seitenaltären entlang eines Laufstegs arrangiert ist. Der Titel weist - ebenso wie die Namen der Figuren - den Weg in die katholische Frömmigkeit, die sich neben dem Glauben an Engel auch aus der Verehrung von Heiligen speist.

Und da diese Menschen ihren posthumen Status nicht selten durch Passionsgeschichten erwarben, denen die Faszination des Perversen anhaftet, wird man auch in der Nachschöpfung mit erschreckenden Details konfrontiert - wobei der 1959 in Oberbayern geborene und zum Holzbildhauer ausgebildete Künstler offenbar auch eigene Erfahrung einer fundamentalistischen Religiosität verhandelt.

Das Erschreckende an seinen heutigen Heiligen aber ist ihre pubertierende Kindlichkeit: Der dunkelhäutige Mauritius oder der spielerisch als Superheld maskierte Georg stehen ebenso erkennbar an der Schwelle zum Teenager-Alter wie die mit einem Bärenkostüm verkleidete Ursula oder die verwachsene Cordula. So betont Unterburger die Unschuld, die als wichtiges Kriterium eines vorbildlichen Daseins gilt - und die der Anbetung der gequälten Kreatur eine besonders obszöne Note verleiht.

Verachtung des Diesseits

Tatsächlich ist es erschreckend, das Martyrium der Heiligen als Zeugnis unerschütterlichen Glaubens zu betrachten und damit Folter und Tod als Bekenntnis zu deuten - eine eher un- als übermenschliche Perspektive, die von der Verachtung des Diesseits zeugt. Es ist fraglos eine provokante Schau, die im Gästebuch heftig diskutiert wird - ein Spiel mit den Tabus, die aus gutem Grund auch über der Sexualität und dem Missbrauch von Kindern liegen. Eine unkritische Haltung zu seinem Gegenstand kann man dem Künstler allerdings nicht unterstellen, sein Problembewusstsein ist deutlich erkennbar. Ihre künstlerische Kraft aber gewinnt die Ausstellung durch das serielle Prinzip, das an die Legenda Aurea erinnert.

Wie in dieser mittelalterlichen Sammlung von Jacobus de Voragine sind auch bei Unterburger die Spielformen des Leidens versammelt - nicht zur Nachahmung, sondern als Mahnung an die Verletzlichkeit des Lebens.

Ausstellung bis zum 29. August, Di-So 10 bis 17 Uhr