Mafia-Buch: Morde, Drogen und das Gesetz des Schweigens
Düsseldorf/dpa. - Menschenleben zählen nicht, mit Drogenhandel werden Millionen umgesetzt, das Gesetz des Schweigens zählt - und die Bosse werden nicht nur gefürchtet, sondern auch verehrt: Was nach einem guten Mafia-Film klingt, ist nach den Schilderungen von Roberto Saviano grausame Realität.
Der italienische Journalist hat jahrelang heimlich in der süditalienischen Camorra recherchiert, mit Ermittlern gesprochen und Protokolle aus Prozessen und Vernehmungen studiert. An diesem Samstag erscheint sein Buch «Gomorrha» auf Deutsch - und dürfte angesichts der Mafia-Morde in Duisburg in der vergangenen Woche hierzulande besondere Aufmerksamkeit erfahren.
In seinem Werk deckt der 1979 bei Neapel geborene Saviano die Machenschaften und wirtschaftlichen Verzweigungen der Camorra auf und nennt Namen. In Italien, wo «Gomorrha» seit Monaten auf den Bestsellerlisten steht, sorgte das Buch nach seiner Veröffentlichung für großen Aufruhr: Endlich sprach jemand das aus, was die meisten Einwohner in den Mafia-Hochburgen zwar wissen, aber nicht zu sagen wagen. «Die einzige Waffe, die bislang noch nicht gegen die Camorra eingesetzt worden war, hat funktioniert: Die Literatur», sagt Saviano. Nach Erscheinen des Buches erhielt er Morddrohungen und lebt nun an einem geheimen Ort unter Polizeischutz. «Dieses Buch hat mein Leben ruiniert.»
Detailliert schildert der Autor, wie die Camorra - «das System» genannt - wichtige Wirtschaftszweige kontrolliert, zum Beispiel die Zement- und die Modeindustrie. Dabei blieben die Geschäfte nicht auf Italien beschränkt. Der Stoff für Textilien etwa komme aus China, werde von Billigarbeitern in Neapel genäht und dann als teure angebliche Markenware unter anderem in die USA exportiert. «Geschäfte der Clans gab es so gut wie überall. In Deutschland unterhielten sie Läden und Lager in Hamburg, Dortmund, Frankfurt und Berlin», schreibt Saviano. Das Bauwesen in Ostdeutschland werde von der Camorra und der kalabrischen Mafia-Organisation 'Ndrangheta kontrolliert, sagte er kürzlich der «Süddeutschen Zeitung».
Doch diese Verbindungen werden nach seiner Ansicht unterschätzt. «Gerade in Deutschland kursiert sei jeher viel Kapital des organisierten Verbrechens. Und ich verstehe einfach nicht, warum die deutsche Justiz wartet, bis ihr die italienische erklärt, woher dieses Geld kommt», sagte Saviano in einem ZDF-Interview.
Bei ihren Geschäften geht die Mafia über Leichen: Wer im Verständnis der Organisation einen Fehler macht, wer im Weg ist oder gar andere verrät, wird rücksichtslos beseitigt. Saviano beschreibt, wie Opfer gefoltert und getötet werden, wie Leichen spurlos verschwinden, indem sie in Säure aufgelöst werden. Er berichtet vom Fall einer jungen Frau, die sterben musste, weil sie früher einmal kurzzeitig mit einem Mann liiert war - mit der Tat wollte die Camorra sich an dem Ex-Freund rächen.
Saviano ist wie die anderen Kinder aus seiner Gegend mit dem Tod aufgewachsen. Den ersten Ermordeten habe er mit 13 Jahren gesehen, berichtet er. Schon kleine Jungen hätten dort eine konkrete Meinung dazu, welche Todesart «die beste» sei. Im Alter von zwölf bis 17 Jahren würden sie von den Clans rekrutiert und für Drogengeschäfte oder zum «Schmierestehen» eingesetzt. Die Jugendlichen träumten davon, ein «Boss» zu werden.
Die Bosse ihrerseits dienten nicht nur als «Vorbilder» für Filme und Bücher. Auch umgekehrt nähmen einige von ihnen Gewohnheiten an, die sie in Mafia-Streifen gesehen hätten. Sie imitierten unter anderem die Kleidung und das Halten der Waffen. Einer von ihnen habe sich gar eine Villa wie in dem Mafia-Klassiker «Scarface» bauen lassen.
Roberto Saviano: Gomorrha
Hanser-Verlag, München
368 S., Euro 21,80
ISBN 978-3-446-20949-7