Madeleine Albright Madeleine Albright: "Ich glaube an Gott"
Berlin/MZ - An Madeleine Albrights Revers glänzt eine weiße Blume, sie zählt diesen Tag also zu den unbeschwerteren in ihrem Leben. Blumen-Broschen trage sie nur, wenn keine Probleme, diplomatische Verwicklungen oder andere Unannehmlichkeiten zu erwarten seien, so hat sie es selbst mal erklärt. An anderen Tagen steckte die ehemalige US-Außenministerin und Erfinderin der Broschen-Diplomatie schon mal juwelenbesetzte Wespen an (im Gespräch mit Jassir Arafat), goldene Schlangen (bei einer Begegnung mit Vertretern des Irak) oder Friedenstauben.
Madeleine Albright nimmt sehr aufrecht auf einem Sofa im Berliner Hotel de Rome Platz. Ihre Ohrringe sind kleine Varianten der Brosche, um ihren Hals leuchten Perlen, ihr dunkler Hosenanzug ist elegant, ohne bieder zu sein, und man versteht sofort, warum die 75-Jährige vor Kurzem von der englischen Zeitung Guardian zu einem der bestangezogenen Menschen über 50 erklärt wurde.
Mit Madeleine Albright sprachen
Petra Ahne und Martin Scholz.
Mrs Albright, als kleines Mädchen haben Sie in einem Film mitgespielt, den das britische Rote Kreuz gedreht hat, um Unterstützung für Flüchtlinge des NS-Regimes zu werben. Ihre Familie war damals aus der Tschechoslowakei vor den Nazis ins Exil nach London geflohen. Haben Sie diesen Film jemals wieder gesehen?
Albright: Nein, leider nicht. Wir versuchten, ihn zu finden und haben beim Roten Kreuz nachgefragt, das ihn produziert hatte. Aber er ließ sich nicht mehr auftreiben. Ich weiß aber noch, dass ich als Gage ein rosa Plüschkaninchen bekam. Ich hab es ziemlich lange gehabt.
Wissen Sie, dass es ein Kinderbuch gibt mit dem Titel „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“?
Albright: Wirklich?
Ja,, es erzählt die Geschichte eines jüdischen Mädchens, das mit seiner Familie nach Hitlers Machtergreifung Deutschland verlässt. Sie haben erst mit 59 Jahren von Ihrer jüdischen Abstammung erfahren. Was ist das für ein Gefühl, wenn die Familiengeschichte plötzlich ganz anders ist, als man sein Leben lang dachte?
Albright: Es scheint wirklich schwer zu glauben, dass ich so lange nichts davon wusste. Aber inzwischen weiß ich, dass es sehr viele Menschen gibt, denen Ähnliches passiert ist. Seitdem meine Geschichte bekannt geworden ist, habe ich viele Briefe bekommen, in denen stand: Meine Eltern haben mir auch nicht erzählt, dass wir jüdisch sind. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Menschen, die ein neues Leben für sich und ihre Kinder wollten, darüber nicht gesprochen haben.
Haben Sie sich nie gefragt: Warum bloß haben mir meine Eltern das verschwiegen?
Albright: Doch. Aber ich war nie wütend auf meine Eltern. Ich wurde oft gefragt: „Hast du keine Wut empfunden?“ Und mich hat diese Frage immer schockiert. Wie sollte ich meinen Eltern böse sein, sie haben mir zweimal das Leben geschenkt. Wenn sie die Tschechoslowakei nicht 1939 verlassen hätten, als ich zwei Jahre alt war, wäre ich höchstwahrscheinlich tot. Meinen Eltern gegenüber empfinde ich vor allem unglaubliche Dankbarkeit und große Traurigkeit für sie. Denn sie haben aus ihrer Familie fast jeden verloren. Sie hatten sich offensichtlich ganz klar entschieden, unsere Leben nicht traurig zu machen, indem sie uns etwas erzählten, was nicht zu ändern war. Ich bin sehr froh, dass ich es jetzt weiß und die Puzzleteile zusammenfügen kann.
In Ihrem Buch steht, Sie machen sich Vorwürfe, dass Sie Ihren Eltern nicht die richtigen Fragen gestellt haben. Aber was hätten Sie fragen sollen?
Albright: Als das alles bekannt wurde und in der Zeitung stand, sagten manche Leute schreckliche Dinge über meine Eltern, vor allem über meinen Vater. Und sie schafften es, dass ich mir dumm vorkam, weil ich nicht gefragt hatte.
Es war eine seltsame Zeit: Hier war ich, die erste Außenministerin der Vereinigten Staaten, frisch im Amt, eine unglaubliche Ehre, und gleichzeitig versuchte ich, zu verstehen, was ich gerade über mich und meine Familie erfahren hatte. Zuerst machte ich mir Vorwürfe, aber dann sagte ich mir tatsächlich: Wenn es in einer Geschichte keine fehlenden Teile gibt, was soll man denn fragen?
Als Sie 1945 von London nach Prag zogen und Ihre Cousine Dáša, die in England bei Ihnen gelebt hat, erfuhr, dass ihre Eltern in Theresienstadt und Auschwitz umgekommen waren, war der Mord an den Juden da kein Thema in Ihrer Familie?
Albright: Nein. Jedenfalls habe ich es nicht mitbekommen. Ich war acht Jahre alt.
Haben Sie mit Ihren Eltern jemals über den Holocaust gesprochen?
Albright: Das haben wir schon. Von 1947 an war ich ja im Internat und sah meine Eltern selten, aber als ich Studentin war und wir in Amerika lebten, sprachen wir viel über das Münchner Abkommen von 1938.
Hat das Wissen, Jüdin zu sein, Ihren Glauben verändert?
Albright: Nein. Ich glaube an Gott.
Und Ihre Haltung zu Israel ?
Albright: Ich bin als Amerikanerin aufgewachsen, wir sind 1948 in die USA gekommen, in dem Jahr, in dem Israel ein unabhängiger Staat wurde. Als Amerikanerin, als politische Person in Amerika, hatte ich immer die gleichen Ansichten über Amerikas Allianz mit Israel, über deren enges Verhältnis – also, die Antwort ist: nein.
Über die Gespräche in Camp David im Jahr 2000 haben Sie mal gesagt, wenn Frauen sich so benommen hätten wie Palästinenserführer Arafat und Israels Ministerpräsident Ehud Barack bei diesem Treffen, hätte man ihnen unterstellt, in den Wechseljahren zu sein. Was war in Camp David los?
Albright: Arafat wollte damals nicht kommen, Ehud Barack schon. Viele dachten, dass wir Camp David organisiert haben, weil Präsident Clinton ein Vermächtnis wollte. Das stimmt aber nicht, es war, weil Barack die letzten Monate seiner Präsidentschaft nutzen wollte, um etwas voranzubringen. Dann kam er in schrecklich schlechter Stimmung an, weil er sich in Israel gerade einem Misstrauensvotum stellen musste. Sie waren beide launisch, und sie haben ständig ihre Meinung geändert, es war eine schwierige Zeit. Trotzdem waren wir ganz nah dran an einem Friedensabkommen.
Zuletzt bestimmten andere Konfliktregionen die Nachrichtensendungen – beispielsweise Nordkorea, das den USA mit einem Atomschlag drohte. Wie ernst haben Sie das genommen?
Albright: Das ist vor allem deshalb schwer einzuschätzen, weil wir immer noch nicht genug über Kim Jon Un wissen. Viele seiner Provokationen zielen offenbar darauf ab, innenpolitisch Stärke zu demonstrieren, zu zeigen, dass er und nicht das Militär im Land das Sagen haben. Wir kennen dieses Verhaltensmuster zwar von seinem Vater Kim Jon Il zur Genüge …
… den Sie selbst mal getroffen haben. Sie zählten im Jahr 2000 zu den wenigen hochrangigen westlichen Diplomaten, die den kommunistischen Führer sprechen konnten.
Albright: Ja. Im Gegensatz zu heute hatten wir damals gewisse Erfahrungswerte: Wir wussten, dass sein Vater dieses Spiel mit Provokationen beherrschte – auf die Drohung, bis zum Äußersten zu gehen, folgte immer der Rückzug. Wir können aber nicht sagen, wie vertraut sein Sohn mit diesem Spiel ist. Vor diesem Hintergrund haben die USA damals genau das Richtige gemacht. Wir haben gezeigt, dass wir uns und unsere Verbündeten zuverlässig verteidigen könnten.
Gleichzeitig hat John Kerry Gesprächsbereitschaft signalisiert, wenn Nordkorea sein Atomprogramm aufgibt. Wir haben die allgemeine Hysterie heruntergefahren, die, ehrlich gesagt, auch durch die Medien weltweit geschürt worden war. Dennoch: Wir wissen immer noch zu wenig über Kim Jong Un.
Es scheint, dass sich die Internationale Staatengemeinschaft heute mit der Bewältigung von Krisen überhaupt schwerer tut als noch in den 90er Jahren. Sehen Sie eine Lösung für dieses Dilemma?
Albright: Viele der gegenwärtigen Konflikte oder Krisenherde sind sehr verschieden. Libyen und Syrien beispielsweise lassen sich nicht über einen Kamm scheren. So gab es in Libyen die Bereitschaft, unter einer von den USA und Frankreich geführten Allianz einzugreifen, weil die internationale Gemeinschaft bereit war, Unschuldige zu schützen und für diese Menschen Verantwortung zu übernehmen. Das war in meinen Augen eine Weiterentwicklung der friedenssichernden UN-Operationen, wie wir sie aus den 90er Jahren kannten.
In Syrien dagegen ist die Lage komplizierter, vor allem, weil sich im UN-Sicherheitsrat keine mehrheitsfähige Linie abzeichnet, wie man mit diesem Konflikt umgehen sollte. Die Frage, ob man militärisch eingreifen soll oder nicht, ist immer schwer zu beantworten.
Lassen sich keine Lehren aus den Kriegen und Konflikten der jüngeren Vergangenheit beispielsweise in Ruanda, Bosnien oder Kosovo ziehen?
Albright: Ich habe in den Jahren nach meinem Ausscheiden aus dem Amt der Außenministerin vor allem eines gelernt: Wenn es bei Konflikten darum geht, militärisch einzugreifen oder nicht, steht man als Entscheidungsträger immer unter einem enormen Druck. Ich habe den Briten und Franzosen ja lange vorgeworfen, Hitler 1938 in München nicht aktiv genug bekämpft zu haben.
Inzwischen habe ich ein besseres Verständnis für die Bedingungen, die diese Haltung möglicherweise herbeigeführt haben. Großbritannien und Frankreich waren damals ausgezehrt vom Ersten Weltkrieg.
Und obwohl ich in dem damaligen britischen Außenminister Neville Chamberlain lange Zeit nur als eine verabscheuungswürdige Person sehen konnte, kann ich inzwischen besser verstehen, warum er sich so verhalten hat. Er wollte den Frieden um jeden Preis bewahren – ohne militärische Mittel einzusetzen. Eine ähnliche Haltung kann ich heute beobachten. Die Kriege in Irak und Afghanistan haben zu einem Erschöpfungszustand geführt.
Mrs Albright, nach Ihrer Zeit als UN-Botschafterin waren Sie die erste Frau an der Spitze des US-Außenministeriums. Anders als Ihre beiden Nachfolgerinnen Condoleezza Rice und Hillary Clinton mussten Sie sich bei Ihrem Amtsantritt noch Fragen gefallen lassen, ob Sie sich in dieser Männerwelt überhaupt durchsetzen könnten. Was hat sich seither für Frauen in der Politik verändert?
Albright: Sehr viel. Vor drei Jahren fragte meine jüngste, damals siebenjährige Enkelin mal in die Familienrunde: „Warum war es denn so eine große Sache, dass Oma Maddie Außenministerin war? Den Job bekommen doch sowieso nur Girls, oder?“
Girls wie Condoleezza Rice oder Hillary Clinton.
Albright: Genau. Wenn ich heute zu dem Thema Reden halte, sage ich oft: „Ich hoffe, es gibt noch ein paar kleine Jungs da draußen, die sich davon inspirieren lassen, dass mit John Kerry endlich mal wieder ein Mann Außenminister ist.“ Grundsätzlich sind heute viel mehr Frauen in verantwortungsvollen Positionen als zu meiner aktiven Zeit. Präsident Clinton hat damals den Wandel eingeleitet, als er erstmals eine Frau zur Außenministerin machte.
In Deutschland wurde zuletzt über eine gesetzlich vorgeschriebene Frauen-Quote heftig debattiert. Es endete mit einem Kompromiss: Bis 2020 bleibt es bei einer Flexi-Quote für Aufsichtsrat und Vorstand von börsennotierten Unternehmen.
Albright: In den USA glauben wir nicht an Quoten. Wir würden ein Wort wie „Frauen-Quote“ nie benutzen.
Warum nicht?
Albright: Weil es andere Konnotationen hat. Amerikaner mögen diesen Begriff einfach nicht.
Sie könnten ja einen anderen wählen.
Albright: Wir wollen auch in den USA, dass mehr Frauen als bisher in Führungspositionen in Wirtschaft und Politik gewählt werden. Aber auf der Grundlage, dass sie für diese Jobs qualifiziert sind und nicht, weil sie Frauen sind.
Und wenn das ungeachtet der guten Qualifikation trotzdem nicht passiert?
Albright: Ich weiß, dann werden immer die Beispiele von den skandinavischen Ländern angeführt, in denen es die Frauen-Quote gibt. Wir Amerikaner bewundern das auch, wenn wir sehen, wie viele Frauen beispielsweise in Schweden oder Norwegen im Parlament sitzen. Aber Amerikaner mögen keine Quoten, wir sträuben uns dagegen, so einen Schritt gesetzlich vorschreiben zu lassen.
Sehen Sie persönlich das auch so?
Albright: Ja. Vielleicht kann ich diese Haltung mit einem anderen Beispiel klarer machen: Ich würde nie für eine Frau stimmen, die sich gegen das Recht auf Abtreibung ausspricht. Ich gebe Frauen in politischen Ämtern meine Stimme, wenn sie die gleichen politischen Ansichten teilen wie ich. Aber ich wähle keine Frau, nur, weil sie eine Frau ist.