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Lyrik Lyrik: Heinz Kahlau hat sich auf Usedom zurückgezogen

Von Irma Weinreich 05.02.2006, 20:00
Der Lyriker und Autor Heinz Kahlau in seiner Berliner Wohnung. Als Auflagen-Millionär hält Kahlau, der am 6. Februar seinen 75. Geburtstag feiert, die Spitzenposition unter den lebenden deutschen Lyrikern ein. (Foto: dpa)
Der Lyriker und Autor Heinz Kahlau in seiner Berliner Wohnung. Als Auflagen-Millionär hält Kahlau, der am 6. Februar seinen 75. Geburtstag feiert, die Spitzenposition unter den lebenden deutschen Lyrikern ein. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Berlin/dpa. - Nach 50 Jahren hat sich Kahlau aus Berlin nach Gummlin auf Usedom zurückgezogen, wo er umgeben von Schönheit und Stille weiter schreibt. Im roten Leineneinband und dick wie eine Bibel vereint sein neuestes Werk erstmals «sämtliche Gedichte», darunter viele bisher ungedruckte. Der Autodidakt sieht sich als Autor für jedermann: «Ichwar immer der Meinung, die Leute sollen verstehen, was ich sagenwill.» Selbstabrechnung, Altersängste, Tod und Gottesglaube,Wiedervereinigung oder Terrorismus - es gibt scheinbar kein Problem,auf das er sich nicht seinen Reim machen könnte, wie in Textenneueren Datums nachlesbar.

Kahlaus Lieblingsthema aber ist und bleibt die Liebe. Liebe sei«von allen unseren Möglichkeiten die menschlichste», meint er. «Du»,Anfang der 70er Jahre erschienen, wurde im Osten zum Kultbuch,geeignet als Lebenshilfe, Glücksbringer und Seelentrost. Nachwiederholten Nachauflagen - auch in der Nachwendezeit - erreichte dieGesamtauflage sagenhafte 250 000 Exemplare. Unter dem Titel «Zweisam»kam der Dichter 1999 auf das große Thema Liebe zurück.

Nach dem lesen von Ringelnatz-Gedichten war Kahlau überzeugt, «sowas auch zu können». Den nachhaltigsten Eindruck auf ihn hinterließzweifelsfrei Bertolt Brecht, der den schreibenden jungen Arbeiter1953 ans Berliner Ensemble als Meisterschüler holte. Bei seinem Debüt«Hoffnung lebt in den Zweigen des Caiba» (1954) offenbarte sich derJungdichter als leidenschaftlicher Interpret der kommunistischenDoktrin von der Veränderbarkeit der Welt, in der es keine Ausbeutermehr geben wird. Außer gelegentlichen Abdrucken seiner Verse inSchulbüchern erschien im Westen Mitte der 60er Jahre einzig dieAnthologie «Mikroskop und Leier». Von Kahlau stammen außerdem einrundes Dutzend Kinderbücher, zahlreiche Theaterstücke sowieFilmszenarien.

Der Lyriker wurde in Drewitz bei Potsdam geboren. Er habe in derDDR «Orden und Ohrfeigen» bekommen, sagt er. Als Verteidiger der Ideeeines menschenfreundlichen Sozialismus verärgert er mit politischzugespitzten Versen häufig seine SED-Genossen. Manches kritische Wort«mogelte» er an der Zensur vorbei in eines der Bücher. Anderes bliebungedruckt in der Schublade. Und einiges hätte er besser nicht aufsPapier bringen sollen. Nicht nur im Westen verübelte man ihm denforschen Agit-Prop-Text nach dem Mauerbau 1961, den die Arbeiter-Kampfgruppen bei ihren Aufmärschen schmetterten: «Da schlossen wirdie Grenzen und keiner hat's gewusst. Klappe zu, Affe tot. Endlichlacht das Morgenrot.»

Selbst Freunde irritierte der Autor, als er Anfang der 90er Jahreoffen über seine Stasi-Kontakte redete. «Statt sieben Jahren Bautzenhabe ich sieben Jahre der Stasi gedient. Ich wusste, Bautzenüberstehe ich nicht», nannte Kahlau unter anderem als Grund seiner«Erpressbarkeit». Wie seiner Akte zu entnehmen ist, hatte die Stasikeine rechte Freude an ihm, der «Schwankungen und negativenEinflüssen» unterliege. 1964 gelang es ihm, die Stasi-Umarmungabzuschütteln.