"Lutherland Sachsen-Anhalt" "Lutherland Sachsen-Anhalt": Buch zum Heimatland der Reformation

Für das Land Sachsen-Anhalt, an das in seiner jetzigen Gestalt zur Lutherzeit freilich nicht zu denken war, ist die Reformation eine Herzens- wie Staatsangelegenheit. Wie sollte es auch anders sein? Immerhin ist Martin Luther, dessen berühmter Thesenanschlag wider die päpstlichen Auswüchse die Welt sowohl theologisch und geistig als auch politisch grundlegend verändern sollte, auf dem Gebiete des heutigen Landes Sachsen-Anhalt geboren, gestorben und beerdigt, dort hat er zwischenzeitlich wesentlich gearbeitet und zahllose Spuren hinterlassen.
Längst ist vor dem heraufziehenden Jubiläum, dem 500. Jahrestag der Reformation, der in zwei Jahren mit nie gesehenem Aufwand touristischer Art und spirituellen Bemühungen begangen werden wird, ein Wettlauf um den Atem Luthers entbrannt - wo immer er einmal gewesen ist, wird seine Anwesenheit als Zeichen besonderer Bedeutung interpretiert.
Da hat man in Sachsen-Anhalt, dem Kernland der Reformation, allen Grund, sein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Naheliegend ist es deshalb, dass die Investitions- und Marketinggesellschaft des Landes in Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg einen Band mit dem programmatischen Titel „Lutherland Sachsen-Anhalt“ herausgegeben hat, der im Mitteldeutschen Verlag Halle erschienen ist.
Mit knapp 400 Seiten Umfang lässt das Buch schon rein äußerlich keinen Zweifel daran aufkommen, dass man der Marke Luther größtes Gewicht beimisst. Dieser Anspruch wird freilich auch inhaltlich gedeckt - mit teils sehr umfangreichen Essays, die den Reformator Luther, seine Zeit und seine Wirkung umfassend betrachten.
Eingeleitet wird der Band von einem Aufsatz des Historikers Mathias Tullner. Der emeritierte Professor geht darin unter anderem auf eines der Kernprobleme ein, mit denen die Luther-Ehrung sich heute in Ostdeutschland, aber auch darüber hinaus zu beschäftigen hat: Die scheinbar unaufhaltsame Säkularisierung der Gesellschaft, die der Kirche und dem Glauben immer weniger Raum lässt.
Dabei ist keineswegs die löbliche, wenn man so will im Ansatz auf die Reformation selber zurückzuführende Trennung staatlicher und kirchlicher Macht zu beklagen, sondern vielmehr der Bedeutungs- und Wissensverlust, der mit dem Schwinden religiöser Bindungen einhergeht. Tullner verweist auf die kirchenfeindliche Politik der SED, die in der DDR verheerend gewirkt und Langzeitfolgen nach sich gezogen hat: „Selbst bloße Kenntnisse über die Reformation und ihre regionalen und lokalen Bezüge wurden durch stark zurückgehenden Religionsunterricht, tendenziöse Darstellung im schulischen Geschichtsunterricht und sich ausdünnende mündliche Überlieferungen im familiären Umfeld immer weniger.“
Damit müssen die Veranstalter der Feierlichkeiten des großen Lutherfestes im Jahr 2017, das in Wittenberg, Mansfeld, Eisleben und vielerorts noch in Mitteldeutschland gefeiert werden soll, umgehen - wissend um die Gefahr, mit einer starken missionarischen Präsenz das Publikum eher zu verschrecken. Andererseits ist aber auch die Vorstellung eines seelenlosen, austauschbaren Volksfestes kein unbedingt angenehmer Gedanke. Luther und die Reformation haben weit gewirkt, bis in die Sprache und die Alltagskultur der Menschen hinein - wenn dieses nicht jetzt deutlich gemacht werden kann und verstanden wird, kann man die Sache wohl zu einem großen Teil verloren geben.
„Lutherland Sachsen-Anhalt“ versucht mit seinen Beiträgen, Aufklärung im besten Sinne zu leisten. Die Breite der Themen ist groß, die Qualität der Texte dem Anspruch des Buches angemessen. Wie etwa der hallesche Rechtsgeschichtler Heiner Lück die Universität Wittenberg als geistigen Ausgangspunkt der lutherischen Reformation beschreibt, vermittelt nicht nur Kenntnisse, sondern bereitet auch ein großes Lesevergnügen.
Wenn man denn noch einen Vorzug des Bandes herausstellen soll, so muss der Mitwirkung Gerhard Feiges Erwähnung getan werden, des Bischofs des Bistums Magdeburg. Wenn Katholiken sich an einem Gespräch über Luther beteiligen, darf man von einer Normalität der Toleranz sprechen, die im Übrigen uns allen, Christen oder nicht, bestens zu Gesicht stünde. (mz)
