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Luther-Dekade Luther-Dekade: «Ein neues Lied wir heben an»

Von Andreas Hillger 30.10.2011, 18:55

Halle (Saale)/MZ. - Als Martin Luther im fernen Wittenberg von diesem Autodafé erfuhr, schrieb er unter dem Eindruck ihres grausamen Schicksals ein Loblied auf seine einstigen Ordensbrüder: "Ein neues Lied wir heben an", zehn Strophen zu jeweils neun Versen - und der Beginn einer neuen musikhistorischen Epoche.

Wenn am Montag in Eisenach das Themenjahr "Reformation und Musik" eröffnet wird, das einen der wichtigsten Schritte auf dem Weg zum Thesenanschlags-Jubiläum darstellt, dann wird damit an diese zweite große Kulturleistung Luthers erinnert. Denn nachdem er im Exil auf der Wartburg das Neue Testament übersetzt und damit einen Grundstein für die Vereinheitlichung deutsche Schriftsprache gelegt hatte, erkannte er bald die Notwendigkeit, "nach dem Beispiel der Propheten und der alten Väter der Kirche deutsche Psalmen" zu schaffen, "damit das Wort Gottes auch durch den Gesang unter den Menschen bleibt".

Was aus heutiger Perspektive trivial zu sein scheint, war damals alles andere als selbstverständlich: In der katholischen Messe blieb das Singen weitgehend dem Priester und dem Chor vorbehalten, die Gemeinde beschränkte sich auf kurze Zwischenrufe wie Hosianna, Halleluja oder Amen.

Dass Luther nun das Wort an die Laien gab, dass er also die exklusive Verkündigung durch das mündige Bekenntnis jedes Christen ersetzte, war eine weitreichende Entscheidung - und wurde von ihm mit der ihm eigenen Entschlossenheit umgesetzt.

Schon 1524 erschien - nach diversen schmaleren Vorläufern - das erste Wittenberger Chorgesangbuch, das 38 deutsche Lieder und fünf lateinische Motetten versammelt. Zu diesem Urahn aller protestantischen Gesangbücher hatte Luther nicht weniger als 24 Texte beigesteuert, für die Musik war wesentlich der kursächsische Hofkomponist Johann Walter (1496-1570) verantwortlich. Weil damit eine regelrechte Singebewegung ausgelöst worden war, sah sich der Wittenberger Reformator fünf Jahre später genötigt, die Vielzahl der Neuerscheinungen eine kanonisierte Form entgegenzusetzen - gedruckt bei Joseph Klug in Wittenberg, gesiegelt mit der Lutherrose.

Die Notwendigkeit solcher Ordnung begründete er im Vorwort damit, "daß im Anfang jedermann hat Evangelien schreiben wollen, bis man beinahe das rechte Evangelium verloren hatte unter soviel Evangelien."

Für den größten Poeten hielt der Theologe, den Hans Sachs zu diesem Zeitpunkt bereits zur "Wittenbergisch Nachtigall" ausgerufen hatte, allerdings nicht sich selbst - sondern den Heiligen Geist: "Auf daß Gottes Name allein gepriesen und unser Name nicht gesucht werde."

An diesen Prozess, den man im Kantschen Sinne durchaus als Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit - also als Aufklärung beschreiben kann, soll das Themenjahr der Reformations-Dekade erinnern. Dass dies aber kein abgeschlossenes historisches Ereignis ist, zeigt ein Blick in die Gesangbücher und in das Konzertleben der Gegenwart: Einerseits haben Luther-Lieder wie "Verleih uns Frieden gnädiglich" und "Aus tiefer Not schrei ich zu Dir", "Christ lag in Todesbanden" oder "Vom Himmel hoch, da komm ich her" noch immer ihren festen Platz im evangelischen Gottesdienst - neben neueren Werken, die das Erbe in die Gegenwart verlängern. Und andererseits wären mitteldeutsche Musikfeste wie die Schütz-Tage oder die diversen Bach-Ehrungen undenkbar ohne ihre Verwurzelung in dieser kirchenmusikalischen Tradition.

Luthers berühmteste Liedzeile aber, deren Melodie sich bei Bach in einer eigenen Kantate und bei Händel im "Occasional Oratorio", bei Mendelssohn-Bartholdy in seiner "Reformations-Sinfonie" und bei Meyerbeer in seiner Oper "Die Hugenotten" ebenso wie in Werken von Wagner, Strauss und Reger findet, grüßt den Wittenberger Touristen heute schon von weitem als Schriftmanschette am Turm der Schlosskirche:

"Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen" - jenes stolze Bekenntnis, das schon Heinrich Heine als die "Marseiller Hymne der Reformation" rühmte.