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Loreena McKennitt Loreena McKennitt: «Wie klingt ein Kamel?»

12.03.2012, 21:23
Loreena McKennitt blickt auf eine international erfolgreiche Karriere als Sängerin und Interpretin zurück.
Loreena McKennitt blickt auf eine international erfolgreiche Karriere als Sängerin und Interpretin zurück. Archiv Lizenz

Halle (Saale)/MZ. - Im Pop hat sie mit dem "Mummer's Dance" ihre Spuren hinterlassen, begeistert im gleichen Maße aber auch Klassikliebhaber und sogar Metalfans. Mehr als 14 Millionen verkaufte Tonträger sprechen eine deutliche Sprache. Doch die Künstlerin, die nicht nur mit ihrer glasklaren Sopranstimme verzaubert, sondern auch am Klavier, der Harfe und dem Bandoneon überzeugt, ist im Gespräch die Zurückhaltung in Person. Und eine weitsichtige Geschäftsfrau. Im April beehrt sie ihr deutsches Publikum mit einer neuen CD im Gepäck.

Das Gespräch führte Janek Könau.

Mrs. McKennit, Sie kommen jetzt im Zuge Ihrer "Celtic Footprints"-Tour nach Deutschland. Obwohl die Finanzkrise Europa auf Trab hält, sind viele Ihrer Konzerte schon lange restlos ausverkauft. Bekommen Sie in Kanada eigentlich etwas von den Problemen hier in Europa mit?

McKennitt: Oh ja! Doch. Ich bin mir der Krise durchaus bewusst. Ich folge der Problematik so gut ich kann und soweit es mir meine Zeit erlaubt. Da bin ich sehr interessiert. Und natürlich besorgt, besorgt um Europa. Ich liebe und schätze so viele Dinge an der alten Welt, dass ich wirklich versuche, an der Sache dran zu bleiben. Ja, ich nehme an, mir geht es da wie den Meisten.

Der Tourname verrät es: Sie haben einiges für die Geschichte der Kelten übrig. Wann haben Sie sich denn zuletzt auf die Fährte dieser Volksgruppen begeben?

McKennitt: Leider war es mir in der letzten Zeit nicht möglich, auf Reisen zu gehen, da ich private Probleme hatte. Meine Mutter ist erst vor Kurzem verstorben.

Es tut mir leid, das zu hören.

McKennitt: Aber ich hoffe sehr, dass ich in den nächsten 18 Monaten die Möglichkeit haben werde, wieder einige Nachforschungen anzustellen und zu reisen. Wohin es dann allerdings geht? Ich weiß es nicht. Aber es ist ja noch eine Weile hin.

Ein Blick auf Ihre letzte CD "A Mediterranean Odyssey" lässt die Vermutung zu, dass Sie sich an Landstrichen orientieren.

McKennitt: In der Tat, ja. Es gibt immer eine geographische Region, für die ich mich gerade besonders interessiere. Einen historischen Bezug zu den Kelten gibt es ja vielerorts. Ich fange dann an, mich reisevorbereitend zu belesen.

Aber steht Ihr jeweiliges Konzept schon vor dem eigentlichen Aufbruch?

McKennitt: Meine Nachforschungen an sich sind sehr offen ausgelegt. Die Basis, also das Konzept des kommenden Albums ist selbst nach meinen Reisen oft noch nicht ganz klar. Erst wenn ich wieder zu Hause bin, beginne ich aus meinen Erfahrungen zu schöpfen, entscheide, was ich mit den Leuten teilen möchte und hoffe, es könnte sie faszinieren, wie es mich fasziniert. Meine Lieder konstruiere ich dann förmlich um gesammelte Inspirationen. Es ist also eine sehr freie Herangehensweise.

Einerseits suchen Sie auf Reisen das Ungewisse, das Abenteuer. Andererseits sind Sie zu Hause in Ontario eine begeisterte Hobbygärtnerin. Könnte man das "Zwei Seelen in einer Brust" nennen?

McKennitt: Ich denke eigentlich, dass ein jeder so funktioniert. So gesehen bin ich da nichts Außergewöhnliches. Wir alle haben unterschiedliche Facetten unserer Persönlichkeit, je nachdem, was die Umstände uns abverlangen.

Für Ihre Arbeit sind diese Gegensätze aber wichtig?

McKennitt: Im Sinne von Kreativitätsfindung, ja. Nun, für meinen Teil würde ich beispielsweise sagen, dass ich die besten Ideen habe, wenn ich lange von etwas Bestimmten fern bleibe. Auf Reisen von Daheim. Ich erinnere mich an ein Zitat von Leonard Cohen. Er wurde gefragt, wo er denn all seine Hits herhole? Und er antwortet: "Wenn ich das wüsste, würde ich öfter dort hingehen". Ich denke, so verhält es sich tatsächlich. Wir alle haben unterschiedliche Psychen in uns. Der eine hat eine Berufung, bei einem anderen verändert sich auf einen Schlag alles, weil er Nachwuchs bekommt. Es sind die unterschiedlichen Situationen, an die wir Menschen uns anpassen müssen.

Ihre Musik wird in der Öffentlichkeit gern unter dem Slogan Weltmusik verkauft. Wirklich ins Schwarze trifft das ja nicht, oder?

McKennitt: Das Kategorisieren ist eine Notwendigkeit der Industrie. Aber ich denke, dass derartige Einordnungen für die Hörer keine Rolle spielen. Ob sie die Musik ansprechend finden oder nicht, zählt mehr als das reine Genre. Menschen haben ein Gespür für so etwas. Ein Lied kann in verschiedenen Menschen ganz andere Gefühle auslösen. World Music? Ich meine, der eine assoziiert das mit afrikanischer Musik, ein anderer wieder mit anderen ethnischen Einflüssen. Und ja, wenn "Weltmusik meint, dass die Musik von verschiedenen Orten und Kulturen inspiriert ist, dann passt das wohl zu meinen Arbeiten.

Gibt es keinen Terminus, den Sie ganz persönlich präferieren? Loreena-Musik?

McKennitt: Ich denke gar nicht viel darüber nach. Wäre ich selbst der Meinung, dass die Bezeichnung es nicht trifft, dann vielleicht. Aber es hätte durchaus auch schlimmer kommen können. New Age zum Beispiel wäre so eine Sparte. Ja, New Age würde mich einengen, denn ich glaube, meine Musik geht weit über das hinaus.

Sie haben schottische und irische Vorfahren. Schwirrt die keltische Musik also schon seit ihren Kindertagen um Sie?

McKennitt: Nein. Bei mir zu Hause wurde gar keine traditionelle Musik gehört. Und mich für keltische Musik zu begeistern, nun, das fing eigentlich auch erst Ende der Siebziger an, als ich in die kanadische Prärie umgezogen bin. Ich habe damals auch noch keine Harfe besessen, die kam dann erst 1982. Aber ich wusste recht bald, dass ich unglaublich gern in dieser Richtung arbeiten würde. Naja, und es ist schon richtig: Meine Vorfahren kommen tatsächlich aus Irland, so dass mir das vielleicht auch den Zugang erleichtert hat.

Was hat Sie in frühen Jahren beeinflusst?

McKennitt: Da waren schon einige… Alan Stivell zum Beispiel, ein Harfenist aus der Bretagne. Aber auch die irische Folkgruppe Bothy Band mochte ich damals sehr.

Mit Ihrem letzten Album sind Sie zu Ihren musikalischen Wurzeln zurückgekehrt…

McKennitt: Das kann man so sagen. Anfänglich bezog ich meine Inspiration vorrangig aus traditioneller Musik und Gedichten, die ich vertonte. Tennyson, Noyes, auch Shakespeare. Das hing auch mit meinem Schaffen am Theater zusammen. Dann hörte ich von den Kelten und deren Einfluss und mir eröffnete sich eine faszinierende Welt. Die weite Verbreitung der Stämme bis hinunter nach Kleinasien ist vielen ja gar nicht bewusst! Auf jeden Fall war die keltische Kultur seither immer ein enormer Kreativitätsgarant für mich. Mich mit ihrer Geschichte auseinanderzusetzen, erlaubte mir gleichzeitig, mich zu bilden. Mein letztes Album "The Wind That Shakes The Barley" war vor allem dadurch inspiriert, dass sich viele Fans mit der Frage an mich wandten, ob ich jemals wieder traditionelle Musik aufnehmen würde. Meine Mutter war zu dieser Zeit sehr, sehr krank. Ich war bei ihr, um mich um sie zu kümmern. Wir nahmen das Album dann quasi auch in einer Performance auf, ohne Instrumente nachträglich einzuspielen. Es war eine Sache, die man gut von Zuhause erledigen ließ. So konnte ich immer nach meiner Mutter sehen.

Ihre neue CD "Troubadours on the Rhine" erscheint genau passend zum Start der Tour und enthält einen Mitschnitt eines Konzerts der letzten, aufgenommen in Deutschland...

McKennitt: Ja, denn das war so ein schöner Abend. Wir haben schon früh damit begonnen, über eine neue Tour nachzudenken. Wir kamen dann auf die Idee, dass diese Aufnahme ein gutes Begleitstück für eine neue Tournee wäre. Ich spielte ja damals einige der Stücke von "The Wind That Shakes The Barley" zum ersten Mal live. Außerdem traten wir als Trio auf, was auch nicht gerade häufig vorkommt. Wir wollten die Intensität und die Intimität des Abends mit denen teilen, die nicht dabei waren. Die Atmosphäre ist einfach wunderbar.

Nach 13 Alben, von denen Sie über 14 Millionen Kopien verkauft haben, denkt da auch eine Loreena McKennit mal an eine Pause?

McKennitt: Nun ja. Dank meiner Tätigkeit wird mir zumindest nicht so schnell langweilig. Meine Karriere wird von so vielen unterschiedlichen Aspekten begleitet. Ich habe ja keinen traditionellen Manager, wie das sonst oft üblich ist. Entsprechend habe ich alle Hände voll zu tun. Das ist in der Tat sehr zeitintensiv. Andere hätten da wohl Freizeit. Und auslernen tut man auch nicht. Ich versuche nun immerhin schon seit fast 25 Jahren, mich immer und immer noch effektiver selbst zu managen... Aber mal im Ernst: Die Summe all meiner Tätigkeiten kann schon sehr unbarmherzig sein. Manchmal sehne ich mich wirklich danach, das alles Mal links liegen zu lassen. Gleichzeitig bin ich ja aber auch so neugierig! Ich will noch auf so vielen Gebieten dazulernen.

Ist es für Sie eine Bürde geworden, alle Verantwortung selbst zu übernehmen?

McKennitt: Nein, soweit würde ich nicht gehen. Es kann sehr anstrengend sein. Gerade jetzt, sich um die Organisation der kompletten Europa-Tour zu kümmern. Da denkt und arbeitet man an nichts anderem - seit Oktober! Und vor dem Start der Tour wird sich das wohl auch nicht mehr ändern. Logistik, Promotion, Kommunikation, das muss alles reibungslos funktionieren, sobald man erst mal unterwegs ist. Es ist ein unglaublicher Aufwand. Jede Tour ist ein Projekt, jedes neue Album ist ein Projekt. Man gewöhnt sich auch daran.

Also nicht mehr zu vergleichen mit Ihren Tagen als Straßenmusikerin?

McKennitt: Nun ja, also das mit der Straßenmusik begann eigentlich aus der Notwendigkeit heraus, meine Rechnungen zu bezahlen. Außerdem war das Spielen auf der Straße damals noch mit einem negativen Stigma behaftet. Du wurdest eher als Bettler wahrgenommen, leider. Aber letztlich habe ich gutes Geld verdient und somit auch viel Motivation daraus schöpfen können. Eigentlich waren es keine schlechten Zeiten… Ich musste nur einige Tage spielen, den Rest des Monats hatte ich frei, weil die Miete längst verdient war. Aber es hat sich ja auch so viel verändert.

Das klingt recht schwelgerisch…

McKennitt: Ganz im Gegenteil. Ich denke, dass wir in einer ganz außergewöhnlichen Periode leben. Das technische Entwicklungstempo ist nur noch zu bestaunen. Gerade auf dem Unterhaltungssektor tut sich da ja sehr viel. Jeder versucht, herauszufinden, was am Nützlichsten ist. Man denke nur an all die neuen Geschäftsmodelle, was sich da für Möglichkeiten aufgetan haben. Die gesamte Musikindustrie muss sich dessen noch bewusst werden, glaube ich. Natürlich sind da auch Zweifel. Dass ein Produkt wie der iPod von Apple derartig zum Erfolg werden würde, hätte doch anfangs keiner für möglich gehalten.

Ihre traditionelle Musik findet man auch im iTunes-Shop von Apple…

McKennitt: Wir vertreiben die digitalen Versionen auf unserer Label-Webseite. Und obwohl sich digitale Musik übers Netz immer besser verkauft - ehrlich gesagt, kommen die Zahlen trotzdem bei Weitem noch nicht an die der CD-Verkäufe heran. Hier die Veränderungen zu beobachten, ist spannend. Aber es geht ja gar nicht allein um die Musikindustrie. In allen Medien- und Geschäftsbereichen, bei denen Digitalisierung möglich ist, wird es einen erstaunlichen Wandel geben, glaube ich.

Eines müssen Sie noch erläutern: Ihre Band, teilt die eigentlich ihre Obsession für die alten Kelten?

McKennitt: Oh nein, nicht in einem solchen Maße wie das bei mir der Fall ist. Ich versuche bei unserer Zusammenarbeit irgendwie, meine Inspirationen zu ihnen durchzubringen. Für mich ist das Bewusstsein hinter dem bloßen Spielen eines Instrumentes wirklich wichtig. Ich versuche Bilder und Vorstellungen in ihre Köpfe zu kriegen... Nehmen Sie zum Beispiel das Stück "Caravanserai": Wir sind draußen in der Wüste. Überall Sand. Du kannst die Hitze sogar sehen. Hier eine Karawane, dort sind einige Kamele. Wie klingt denn nun aber ein gehendes Kamel?

Da bin ich überfragt...

McKennitt: Genau das jedoch ist es, was ich versuche in meiner Musik zu transportieren. Nun, es ist wie das Bemalen einer Leinwand, nur eben mit Tönen. Besser ausgedrückt, die Musik beerbt die Bilder meiner Vorstellung, meines Geistes, beherbergt sie aber zugleich. Ich hatte schon einige Male die Gelegenheit, auf einem Kamel zu reiten und habe eine Vorstellung. Mit der versuche ich dann also, mit der Band zu arbeiten. Ich denke schon, dass sie sich für das Thema interessieren. Aber so vereinnahmt wie ich sind sie wohl nicht.

Was haben Sie sich für die Zeit nach der Tour vorgenommen?

McKennitt: Ich habe da zwei, drei unausgereifte Pläne, die ich gern verfolgen würde. Aber es ist immer dasselbe Dilemma. Es ist schlicht schwer sich zu entscheiden was man als nächstes tun will. Egal, ob das Bereisen verschiedener Länder oder eine Tour, alles nimmt viel Zeit in Anspruch.