1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Literatur: Literatur: Schriftstellerin Helga Schütz wird 75

Literatur Literatur: Schriftstellerin Helga Schütz wird 75

Von Irma Weinreich 01.10.2012, 16:48
Über ihr Leben zwischen Freiheit und Anpassung erzählt Helga Schütz in ihrem neuen Roman - eine reine Autobiografie ist das zu ihrem 75. Geburtstag erscheinende Buch aber nicht. (ARCHIVFOTO: DPA)
Über ihr Leben zwischen Freiheit und Anpassung erzählt Helga Schütz in ihrem neuen Roman - eine reine Autobiografie ist das zu ihrem 75. Geburtstag erscheinende Buch aber nicht. (ARCHIVFOTO: DPA) dpa-Zentralbild

Potsdam/dpa. - Aus dem Waisenkind, das wie ein Wunder die Bombennacht in Dresden überlebte, ist eine vielgelobte Gärtnerin geworden. Nach den Entbehrungen in den ersten Nachkriegsjahren will die 17-Jährige auf eigenen Beinen stehen. Eli, das „Bauernmädchen aus Sachsen“, ebenso naiv wie selbstbewusst, ergattert einen Platz an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg. Ihre Geschichte geht nach dem Erfolg von „Knietief im Paradies“ (2005) weiter. Mit „Sepia“ hat die in Potsdam lebende Schriftstellerin Helga Schütz pünktlich zu ihrem 75. Geburtstag (2. Oktober) eine Fortsetzung der autobiografisch gefärbten Erzählung geschrieben.

Sepia heißt die bräunliche Eintrübung alter Fotografien. Ehe die Erinnerungsbilder völlig verschwinden, nimmt sich die Autorin ein nach der Wende literarisch weniger beackertes Gebiet der DDR-Vergangenheit vor. Ihr Roman voller überraschender Geschichten, heiter und skurril, ist nicht ganz frei von Nostalgie.

Elis turbulentes Leben zwischen Freiheit und Anpassung führt in die Zeit Anfang der 60er Jahre. Nach dem 13. August 1961 ist im Osten nichts mehr wie es war. Die Kunstschule am idyllischen Griebnitzsee liegt plötzlich im Grenzgebiet - Zutritt für Fremde nicht gestattet. Zuerst die Mauer als Stacheldrahtverhau, später vermint und mit Leuchtraketen bespickt, hat Eli den „Eisernen Vorhang“ jeden Tag vor der Nase. Ein paar Meter zum Ufer und die Welt ist zu Ende. Trotzdem muss das Leben weiter gehen. „Die Mauer, die ist da. Aber es gibt noch andere Nöte und Wahrheiten“, sagt Schütz im Interview mit der Nachrichtenagentur dpa.

Außer gesundem Menschenverstand und Ehrgeiz, bringt Eli wenig Voraussetzungen für ihr Studium mit. Wie ein Schwamm saugt sie Wissen auf: Brecht, Kafka, Adorno. Sie schwärmt für Truffaut, Bergman und Fellini, zu deren Filmen sich die Studenten einmal in der Woche wie zu einer „heimlichen heiligen Messe“ versammeln. Doch Kunst allein ist nicht alles. Im Kalten Krieg wird von jedem DDR-Bürger eine klare politische Haltung verlangt. Aber Eli, unter den Intellektuellen die „proletarische Perle“, drückt sich. „Besser eine Krankheit als eine Meinung“, findet sie.

Eli handelt nicht nach ideologischen Vorgaben, sondern nach Bauchgefühl. Um Tricks und kleine Lügen ist sie nicht verlegen. Selbst bei Androhung von Konsequenzen sieht sie keinen Grund, etwa den verbotenen Briefwechsel mit Freunden und Verwandten im „kapitalistischen Ausland“ aufzugeben. Sie träumt von ihrer großen Liebe Ludwig, dem die Flucht in den Westen noch nach dem Mauerbau gelingt. Filmreif ist Elis Tramptour nach Polen. Mit einer Urne im Rucksack schleicht sie bei Görlitz klammheimlich durch den Grenzfluss auf die andere Seite, um dem West-Großvater Heinrich den letzten Willen zu erfüllen und seine Asche in heimatlicher Erde zu verbuddeln.

Schütz wurde in Falkenhain in Schlesien geboren. Wie ihre Romanfigur lernte sie in Dresden das Gärtnern und studierte später an der ostdeutschen Filmhochschule. Trotzdem ist „Sepia“ keine Autobiografie. Dass es die Autorin versteht, Authentisches und Erdichtetes meisterlich in der Schwebe zu halten, hat sie bereits in früheren Büchern wie „Jette in Dresden“ (1977) oder „Vom Glanz der Elbe“ (1995) bewiesen. Nach einer Reihe von Drehbüchern veröffentlichte sie Anfang der 70er Jahre ihr erstes Prosawerk „Vorgeschichten oder schöne Gegend Probstein“. Das Schicksal von Frauen liegt ihr besonders am Herzen.