Literatur Literatur: Pazifistischer Zyniker mit Massenwirkung

New York/dpa. - Neulich, im New Yorker Central Park, war er wieder dabei. Als Tausende von Amerikanern gegen die Irak-Kriegspläne ihrer Regierung protestierten, wollte der Schriftsteller Kurt Vonnegut, der am Montag (11. November) 80 Jahre alt wird, nicht fehlen. Eine Rede hat er nicht gehalten, aber allein schon seine Anwesenheit hat die Erinnerung an eines der düstersten Kapitel in der Geschichte Amerikas wachgerufen - und an eines der einflussreichsten Bücher. Kurt Vonneguts Bestseller «Schlachthof 5» war die Bibel der Vietnamkriegsgegner.
Kaum ein anderes Buch, von Salingers «Der Fänger im Roggen» und Kerouacs «On the Road» einmal abgesehen, hat große Teile der amerikanischen Jugend derartig fasziniert. «Als ich Vonneguts 'Slaughterhouse-Five' las», erinnert sich Valerie Sayers, Literaturkritikerin der «New York Times», «kam es mir vor, als rutsche der Boden unter meinen Füßen weg.» Teilnehmer der Massenproteste gegen den Vietnamkrieg hatten die Taschenbuchausgabe bei sich. So mancher der Wehrdienstverweigerer, die damals noch schwer bestraft wurden, kannte ganze Passagen auswendig.
Dabei geht es in «Schlachthof 5» gar nicht um Vietnam. Vonnegut, der Ende 1944 als Infantrist der US Army in den Ardennen in deutsche Gefangenschaft geriet, hat in dem Buch die Bombardierung der Dresdener Zivilbevölkerung durch die amerikanische und die britische Luftwaffe verarbeitet. Als Kriegsgefangener im Herkunftsland seiner Vorfahren war er bei der Bergung der Leichen aus zerbombten Häusern eingesetzt. Was er in dem 1969 erschienen Werk schilderte, wurde als Botschaft gegen jeden Krieg verstanden und auf den gerade in Vietnam tobenden angewandt.
Das allein erklärt nicht die Massenwirkung, die Vonnegut vor allem unter Studenten und halbwüchsigen Schülern erreichte. Was die Jugend neben seiner konsequent pazifistischen Haltung ansprach, war der außergewöhnliche, an die Pop Art erinnernde Stil. Er findet sich in allen seiner 14 Romane wieder, vom Erstling «Das höllische System» (1951) über «Hokus Pokus» (1990) bis zu seinem erklärtermaßen letzten Buch «Zeitbeben» (1997). Vonnegut hat immer wieder Zitate und halb ausgearbeitete Sätze, rein erzählerische Elemente, Dokumentenauszüge, Liedzeilen, harmlose wie geschmacklose Witze sowie viele Sex-Szenen gemischt - und dann mit seinem atemberaubenden Zynismus gewürzt.
Dank des Dresden-Buches, sagte er einmal, gehöre er zu denen, die an der Bombardierung der Stadt gut verdient hätten. Wenn man von 135 000 Toten ausginge, müssten es wohl «fünf bis zehn Dollar pro Kopf» gewesen sein. Schockieren, um auf den alltäglichen Wahnsinn aufmerksam zu machen - diese Methode hat der Autor perfektioniert. Mit seinem eigentümlichen Stil wurde er zu einem Sonderfall der Literatur. Akademische Kritiker lobten Vonneguts Experimente als bahnbrechend, dennoch erreichte er ein Massenpublikum, vor allem unter der Jugend. Wohl deshalb erschienen seine Werke - in Umkehrung gängiger Marktregeln - meist zunächst als Taschenbuch und erst danach als teure Leinenausgabe.
Dabei ist der Schriftsteller so vielen irgendwie auf die Füße getreten. Feministinnen zum Beispiel rümpften die Nase über Sätze wie diesen: «Keine schöne Frau kann die Erwartungen, die wegen ihres Aussehens in sie gesetzt wurden, über einen annehmbaren Zeitraum hinweg rechtfertigen.» So richtig gehasst wurde er von Vertretern der Nixon-Regierung, gegen deren Napalm-Krieg der Autor die akademische Jugend mit flammenden Reden aufstachelte. Würde er mit seinen 80 Jahren noch politische Reden halten, dürfte sich die Begeisterung bei der heutigen Besetzung im Weißen Haus wohl ebenfalls in Grenzen halten.