Literatur Literatur: Germanistin Gaby Pailer veröffentlicht "Charlotte Schiller. Literarische Schriften"

Halle (Saale) - „Damit doch jemand die Feder führt, bin ich auch mit meiner angefangnen Geschichte beschäftigt, die vielleicht doch so wird daß man sie brauchen kann. Ich gehe streng zu wercke und laße mir nichts hingehen, und so wollen wir sehen was heraus kommt.“ So schrieb Charlotte Schiller (1766-1826) an ihren Gatten Friedrich am 15. März 1801. Der war damals, vier Jahre vor seinem Tod, schon schwer erkrankt.
Die wie beiläufig klingende Anmerkung ist der einzige bekannte Hinweis Charlottes gegenüber ihrem Ehemann auf ihre dichterischen Pläne. Was allgemein und bis heute zutrifft auf ihr im Schatten des gefeierten, populären Dichtergatten entstandenes Werk. Denn wer weiß das schon, dass die geborene von Lengefeld keineswegs nur eine umfangreiche Korrespondenz pflegte (mehr als 5.000 archivierte Briefe), sondern auch selbst literarisch tätig war?
Er, der berühmte Dichter, sie, die am heimischen Herd sorgende Gattin im Hintergrund, die an der Seite ihres eigenwilligen Mannes einiges zu erdulden hatte. So war und ist in der Öffentlichkeit bis heute das Bild dieses Promi-Paares der nach dem noch berühmteren Kollegen benannten Goethe-Zeit, die aufregende, nachhaltige Literaturströmungen von Sturm und Drang bis Romantik hervorbrachte.
Doch diese gängige Auffassung stellt sich bei näherer Besichtigung der historischen Quellen etwas anders dar. Schon im Umfeld der Schiller-Jubiläen vor mehr als einem Jahrzehnt haben Autoren die alltäglichen Realitäten um Herrn und Frau Schiller publikumswirksam in ein anderes Licht gerückt.
Die Hausfrau als Dichterin
Nun hat die Germanistin Gaby Pailer das vermeintliche Geheimnis um die schriftstellernd tätige Charlotte endgültig umfassend gelüftet. Ausgerechnet vom fernen Kanada aus hat sich die Professorin der Unversity of British Columbia im Rahmen eines Forschungsprojekts auf Spurensuche gemacht und tatsächlich die vermeintliche Nur-Hausfrau so aus dem übermächtigen Gatten-Schatten herausgeholt. Im Ergebnis intensiver Archivarbeit hatte sie bereits mit der Monographie „Charlotte Schiller – Leben und Schreiben im klassischen Weimar“ deren literarisches Wirken ans Licht gebracht.
Jetzt legt sie folgerichtig mit „Charlotte Schiller. Literarische Schriften“ die Sammlung des Aufgefundenen vor. Zugrunde liegen der Edition, erklärt Gaby Pailer, die Handschriften, wie sie Emilie von Gleichen-Rußwurm, die jüngste Schiller-Tochter, erstmals gesammelt und gemeinsam mit Ludwig von Urlichs um 1860 erschlossen hatte („Charlotte von Schiller und ihre Freunde“).
Mit Pailers Arbeit wird erstmals der „gesammelte literarische Reichtum“ aus der Feder von Charlotte Schiller präsentiert. Es ist ein erstaunlich üppiger Band geworden. Mehr als 1.000 Seiten inklusive der sorgfältigen, sachkundigen Kommentierung der Herausgeberin. Was gibt es zu lesen? Dramen, Lustspiele, historische Schauspiele, Erzählungen, Romane, Lyrik, Erinnerungen, Reisebeschreibungen.
Tagebucheinträge, Romane und dänische Geschichtsschreibung
In so gut wie jedem Genre hat sich Charlotte Schiller versucht. Stets fein für sich. Denn die Autorin hat ihre Arbeiten nicht ausdrücklich selbst zur Veröffentlichung autorisiert. Dabei war sie schreibend erstaunlich produktiv, vor allem in der Zeit vor ihrer Ehe und während der mehr als zwei Jahrzehnte währenden Witwenschaft, wie Pailer schreibt.
Die Lust am Fabulieren, der Mut zu eigener literarischer Kreativität hat gleichwohl Charlottes Leben geprägt. Aus den Jugendjahren stammen Tagebücher und Beschreibungen der Reisen, die sie mit Mutter und Schwester unternommen hatte (Heidelberg, die Schweiz). Diese erschöpfen sich nicht in anschaulichen Landschaftsschilderungen, sondern reflektieren immer auch einfühlsam die Begegnung mit den verschiedensten Menschen unterwegs.
Auch in ihren Romanen bestimmen Reisende mit ihren Begegnungen in fernen Ländern die Handlung. In Lustspielen beschäftigt sich Charlotte Schiller mit Begebenheiten aus dem spanisch-französischen Krieg oder auch mit Verwicklungen einer imaginären Witwenschaft. Wie sehr sie historisch interessiert und bewandert war, belegt unter anderem auch ein historisches Schauspiel aus ihrer Feder, das Geschehnisse um skandinavische Herrscher behandelt nach Quellen der dänischen Geschichtsschreibung.
Weibchen-Rolle unterwandert
So „streng zu wercke“ Charlotte Schiller bei ihrem Schreiben auch ging, was demgegenüber der ihr angetraute Dichter-Heroe dem anderen Geschlecht an eigenschöpferischem Wirken zugestanden hat, ist eindrücklich in seinem Gedicht „Würde der Frauen“ beschrieben.
Entstanden ist es 1795, als er schon fünf Jahre mit der bemerkenswerten Charlotte glücklich verheiratet war. Klar wird aus seinen Versen: Die Frau gilt ihm als Bewahrerin edler Sitte, ein gegenüber dem Manne der Natur näheres Wesen, dazu bestimmt, das irdische Dasein durch Grazie zu verschönern.
Charlotte Schiller indes hat Eigenes hervorgebracht, die Weibchen-Rolle auf ihre Art unterwandert. Diese scheinbar so unauffällige Frau verfügte offensichtlich über ein gutes Teil eigenständiger Unbeugsamkeit. Schon wie sich die junge Adlige mit dem revolutionären Dichter verbunden hatte im Arrangement einer zumindest zuzeiten unkonventionellen Ehe, zeigt sich diese Stärke.
Wie auch in der Rolle als perfekte Gefährtin an seiner Seite bis in den Tod. Und dabei war sie doch immer auch viel mehr, in stillem Beharren. In ihren literarischen Selbstzeugnissen ist die prägnante Persönlichkeit der Charlotte von Lengefeld, verheiratete Schiller, bewegend zu erspüren. So bestimmt erkennend, wie sie da von sich schreibt: „Ein einziger Tag meines früheren Lebens, ist die Geschichte aller. Dieser Gewohnheit an das Einförmige danke ich in spätern Jahren viel Genuß. Ich lernte dadurch auf mich selbst ruhen, fremder Hilfe zu meiner Unterhaltung nicht zu bedürfen.“ (mz)
„Charlotte Schiller – Literarische Schriften“, herausgegeben von Gaby Pailer, WBG-Verlage, 1.024 S., 99,95 Euro
