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Literatur Literatur: Fritz J. Raddatz: Sie ist des Nobelpreises würdig

Von Wilfried Mommert 17.03.2004, 06:44
Die Schriftstellerin Christa Wolf wird am 18. März 75 Jahre alt. (Foto: dpa)
Die Schriftstellerin Christa Wolf wird am 18. März 75 Jahre alt. (Foto: dpa) dpa

Berlin/dpa. - «Ich habe dieses Land geliebt», schrieb Christa Wolf («Der geteilte Himmel») einmal an Günter Grass nach dem Untergang der DDR. «Dass es am Ende war, wusste ich, weil es die besten Leute nicht mehr integrieren konnte, weil es Menschenopfer forderte.» Also schrieb die Schriftstellerin, die am Donnerstag (18. März) ihren 75. Geburtstag feiert, die Erzählung «Kassandra», die eine Botschaft enthielt, auch für die Zensur in der DDR.

«Ich wartete gespannt, ob sie es wagen würden, die Botschaft der Erzählung zu verstehen, nämlich, dass Troja untergehen muss. Sie haben es nicht gewagt und die Erzählung ungekürzt gedruckt. Die Leser in der DDR verstanden sie.» Aber sie hatten nach dem Mauerfall auch Fragen an die Schriftstellerin: Wenn «Troja» untergehen musste, wieso habe sie dann noch kurz vor dem Ende der DDR einen Aufruf «Für dieses Land» unterschrieben? Sie habe dabei nicht an die alte DDR gedacht, entgegnete Wolf, sondern «für einen kurzen geschichtlichen Augenblick an ein ganz anderes Land, das keiner von uns je sehen wird».

Christa Wolf sah für sich keine Alternative zur DDR und wurde doch immer heimatloser - «Kein Ort. Nirgends», wie ein Buchtitel von 1979 wenige Jahre nach der Biermann-Ausbürgerung heißt - mit dem Rücken an der Wand. So war denn der gemeinsame Aufruf zahlreicher Künstler und Autoren der verzweifelte Versuch, den eigenständigen Weg eines anderen Deutschland nach der Hitler-Barbarei erhobenen Hauptes weitergehen zu können.

Die Tagebucheintragungen sind in Christa Wolfs im vergangenen Herbst erschienenen Band «Ein Tag im Jahr» enthalten und gehören auch zum Textteil der jetzt (ebenfalls bei Luchterhand) erschienenen «Biographie in Bildern und Texten», herausgegeben von Peter Böthig. Es sind Bekenntnisse, Gedanken und Erfahrungen einer Frau, die von vielen als die bedeutendste deutschsprachige Schriftstellerin der Gegenwart angesehen wird, während sie andere, wie der Kritiker Marcel Reich-Ranicki, für eine «weit überbewertete Autorin» halten.

Ihr wichtigstes Buch, «Nachdenken über Christa T.» (1968), das er einst nachdrücklich gelobt habe, habe sich schon überlebt. Andere halten das Buch aber für einen der wichtigsten Romane der deutschen Nachkriegsliteratur. Und in den letzten Jahren wurde, wenn es um Spekulationen zum Literaturnobelpreis ging, neben Günter Grass auch ihr Name immer wieder genannt. «Sie ist des Nobelpreises würdig», meinte der Kritiker Fritz J. Raddatz. «Ich verlasse mich darauf, dass die Leser in meine Bücher schauen und sehen, dass ich keine Staatsschriftstellerin war», sagte die Georg-Büchner-Preisträgerin 1990.

Und für einen kurzen Augenblick der Geschichte war in der turbulenten Wendezeit 1989/90 ihr Name für das Amt eines DDR- Staatsoberhauptes im Gespräch, als die Intellektuellen nach dem Vorbild der politischen Karriere des tschechischen Schriftstellers Vaclav Havel von einer Verbindung von Geist und Macht träumten, die doch auch in Deutschland mal gelingen könnte. Die «östliche Zwillingsschwester von Heinrich Böll» empfand es aber zunehmend als Belastung, dass die Menschen in Ostdeutschland sie zunehmend als «moralische Instanz» und Gallionsfigur für Zivilcourage und Widerstand in Anspruch nahmen und weniger als Literatin.

Ein Schatten fiel auf die Person Christa Wolf, als die Stasi-Akten sie als «Gesellschaftliche Mitarbeiterin» und kurze Zeit auch als IM «Margarethe» in frühen Jahren (1959-1962) enttarnten, die sie dann aber sofort selbst in einem Dokumentationsband «Akteneinsicht Christa Wolf» offen legte, der auch ihre eigene Bespitzelung durch die Stasi offenbarte. Es bleibe aber «ein Wunder, ein dunkler Punkt» in ihrem Leben, wie sie später bekannte. Sie wurde auch nicht wie ihr Mann Gerhard Wolf aus der SED geworfen (aus der sie erst 1989 austrat, zu spät, wie sie bekannte), als sie gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns 1976 protestierte. «Den Prozess, den ich gegen mich eröffnet habe, muss ich ohne Beistand führen», notierte sie 1993.

Es kamen auch wieder die literarischen Erfolge, so 1996 mit «Medea» über Liebe und Verrat. «Kindheitsmuster» (1976) steht der Autorin nach eigenem Bekunden am nächsten, weil da das meiste von ihr hineingeflossen sei, meinte die im heute polnischen Landsberg/Warthe geborene Schriftstellerin rückblickend. 2002 erschien ihr Buch «Leibhaftig», der Albtraum eines Krankenhausaufenthaltes in der Endzeit der DDR, Patientin und Staat stehen vor dem Zusammenbruch.

Großes Interesse fanden auch Wolfs veröffentlichte Briefwechsel zum Beispiel mit DDR-Autorinnen wie Brigitte Reimann. Zu ihrem jetzigen Geburtstag ist der Briefwechsel mit der aus Deutschland emigrierten Philosophin, Ärztin und Autorin Charlotte Wolff (bei Luchterhand) erschienen.

Das soll die Zeit bis zum Erscheinen des neuen Romans überbrücken, an dem Christa Wolf wieder arbeitet. Und ein Thema bleibt ihr immer im Blick - die «weltgeschichtliche Niederlage der Frau». In Krisenzeiten zeige sich die dünne Decke der Zivilisation. «Angst, Gier, Rücksichtslosigkeit der Männergesellschaft kommen nackt hervor, die Frauen werden wieder an den Rand gedrängt.»