Literatur Literatur: Bei Neugier und Staunen ist das Alter egal

Heidelberg/dpa. - «So lange man noch Neugierde in sich hat undstaunen kann, ist das Alter egal.» Hilde Domin ist noch neugierig aufdas Leben und voller Tatendrang. Die Lyrikerin arbeitet derzeit anErinnerungstexten über ihre frühe Kindheit und hält bundesweitLesungen. Am Dienstag (27. Juli) wird die vielfacheLiteraturpreisträgerin 95 Jahre alt. In ihrer Wahlheimat Heidelberg,wo die gebürtige Kölnerin seit 1961 lebt, wird Domin an ihremGeburtstag zur Ehrenbürgerin ernannt. Außerdem ist eine private Feiermit 50 bis 60 Freunden und Bekannten geplant, zu der auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel (CDU) eingeladen ist.
Aus ihrem Alter macht sich die energische, kleine Frau mit ihrerfesten, klaren Stimme sonst recht wenig. «Für mich ist man entwederpräsent oder man ist nicht präsent - dann ist es egal, ob man 70 oder90 Jahre alt ist.» Die 100 Jahre sind für Hilde Domin deshalb auchkein Thema. Wann ihr Erinnerungsband erscheinen wird, ist noch nichtabsehbar. «Es gibt einen Punkt, an dem ist alles gesagt.»
Zu schreiben und Lesungen zu halten, ist noch immer einLebenselixier für die Dichterin jüdischer Herkunft. Für das Frühjahrnächsten Jahres ist Domin nach Oxford eingeladen. «Es ist für micheine Freude und keine Arbeit, dass ich diese Lesungen halten kann»,versichert die Schriftstellerin. Ihre Texte wählt sie dabei je nachStimmung und immer unterschiedlich aus. «Ein Gedicht lese ich aberfast immer vor: "Abel steht auf"», erzählt die «Grande Dame» derdeutschen Literatur, wie Domin genannt wird. In dem Gedicht macht siedie biblische Tat von Kain einfach rückgängig und gibt ihm einezweite Chance.
Hilde Domin, die zunächst Jura, später NationalökonomischeTheorie, Soziologie und Philosophie studierte, floh während der Nazi-Diktatur mit ihrem Ehemann Erwin Walter Palm um die halbe Welt. InFlorenz promovierte sie 1935 über "Pontanus als Vorläufer vonMacchiavelli". Während des Exils in Italien, Großbritannien, derDominikanischen Republik und den USA arbeitete Domin alsÜbersetzerin, Fotografin und Dozentin. Mitte der 50er Jahre, nach 22Jahren im Exil, kehrte sie zurück, als der Kunsthistoriker Palm einenLehrstuhl an der Heidelberger Universität annahm.
Ihr erstes Gedicht schrieb sie 1951 in Santo Domingo, derHauptstadt der Dominikanischen Republik. In Anlehnung an den Namender Stadt änderte sie ihren Namen von Palm in Domin. Innerhalb vonzwei Jahren folgten 200 weitere Gedichte. Die Sehnsucht nach derHeimat wurde zum tragenden Motiv ihrer einfühlsamen Lyrik.
1968 veröffentlichte Hilde Domin ihren autobiografisch angelegtenRoman «Das zweite Paradies», der ihre Erfahrungen im Exilwiderspiegelt. Es folgten weitere Gedichte und Abhandlungen überLyrik. Ihre Werke wurden in mehr als 20 Sprachen übersetzt und mitzahlreichen Literaturpreisen geehrt. Unter anderem wurde Domin mitdem Großen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.