Leopoldina Leopoldina: Die Erkenntnis in Scheiben
Halle (Saale)/MZ. - Die Eule ist als Wappentier der Athene ein klassisches Symbol der Weisheit, in hauchdünne Scheiben zerlegt aber symbolisiert sie nun auch die analytische Methode und die Gefährdung moderner Wissenschaft. Im Garten des alten Logenhauses, das demnächst als Stammsitz der naturwissenschaftlichen Akademie Leopoldina in Halle eröffnet wird, will sie der Künstler Roland Fuhrmann nun so präsentieren - als Pendant zu einem ebenfalls in der Art einer Computertomografie zerschnittenen und geschichteten Menschenkopfes, der die Besucher künftig im historischen Treppenhaus des Gebäudes empfangen soll.
Fuhrmann ist Preisträger des Wettbewerbs für "Kunst am Bau", dessen Endrunden-Ergebnisse seit gestern im halleschen Ratshof besichtigt werden können. Die sechs Fach- und drei Sachpreisrichter haben seine Arbeit "Dialog introspektiv" aus insgesamt 142 Einsendungen gewählt, die sich dem Ort und dessen Nutzung oft in spielerischer Manier genähert haben.
So schlägt der Berliner Reiner Maria Matysik eine "Academia Naturae Curiosorum" vor, die das alte Prinzip der Naturalienkammer in die Zukunft verlängert und fiktiven Vitrinen-Exponaten im Inneren einen synthetischen Organismus im Außenbereich entgegenstellt. Der gebürtige Hallenser Maik Scheermann hingegen assoziiert mit seinen drei Skulpturen "Aufsteigen (Absinken)", "I think - Buchfink" und "exemplaris" die Akademie-Sprachen Deutsch, Englisch und Latein und setzt Prozesse der natürlichen Entwicklung und ihrer Erkenntnis in Skulpturen um.
Während die "Burg"-Absolventin Ilka Raupach mit ihren "Monaden" gigantische Einzeller präsentiert, setzt der Münchner Gregior Passens auf eine "Kuschelnatur" in Form des zum Kinderliebling verniedlichten Teddybären, den er auf die tatsächlichen Größe seines gefährlichen Vorbilds bringt. Auch der Entwurf "Mamma Mia" von Elisabeth Brockmann spielt mit der Erfahrung veränderter Dimensionen, indem er gigantische Stiefmütterchen in den Garten und das Vestibül des Hauses legt. Einen wesentlich ungegenständlicheren, aber nicht minder reizvollen Weg geht Lars Bergmann, der gläserne Kuben in einer ausgeklügelten Konstellation platziert und mit den Momenten ihrer Deckungsgleichheit im Sonnenlicht zentrale Daten der Akademiegeschichte markiert.
Einen hohen Grad der Abstraktion markiert auch Annette Munks "Conditio Humana", die laut Jury-Mitglied Jörg-Tilmann Hinz ebenfalls Chancen auf einen Sieg gehabt hätte. Die einstige Burg-Studentin wollte im Garten der Leopoldina ein Rondell mit Vergissmeinnicht bepflanzen - dem geheimen Erkennungszeichen der Freimaurer, denen das Logenhaus ursprünglich gehörte. Im Treppenhaus sollte zudem eine Steinfläche aus schwarzen und weißen Marmorquadern ausgelegt werden, deren Zahl ungefähr dem aktuellen Mitgliederstand der Leopoldina entspricht.
Dass sich am Ende jedoch der 1966 in Dresden geborene und ebenfalls an der halleschen Kunsthochschule sowie bei Christian Boltanski in Paris ausgebildete Fuhrmann durchsetzen konnte, lag vermutlich an der geglückten Balance zwischen dem natürlichen Gegenstand und seiner - mit wissenschaftlichen Methoden inszenierten - Verfremdung. Sowohl die Eule der Minerva als auch der menschliche Kopf sind in äußeren Konturen wie in inneren Zusammenhängen erfahrbar, die wechselnden Punkte der Fixierung zwischen den horizontal geschnittenen Scheiben verstärken den Eindruck der Schwerelosigkeit.
So kann man die fragmentarisierten Skulpturen einerseits als Verweise auf die kulturhistorischen Traditionen - die Embleme und die Gelehrten-Galerien der Akademien - lesen. Andererseits aber sind sie auch als Mahnung zu verstehen, dass man bei aller Faszination für die Möglichkeiten moderner Naturwissenschaft ihren ethischen Urgrund und den Adressaten ihrer Einsichten nicht aus dem Blick verlieren darf. Fuhrmanns Ansatz "Selbst die Weisheit wird durchleuchtet" ist also durchaus auch skeptisch zu lesen - und steht einer zeitgenössischen Akademie daher gut zu Gesicht.
Dass das mit 130 000 Euro, also knapp einem Prozent der Bausumme dotierte Projekt im übrigen die Geschichte des Gebäudes unreflektiert lässt, ist dem Künstler bewusst. Deshalb regte er bei der Präsentation der Entwürfe auch an, den letzten nachweisbaren Kultraum der Loge "Zu den drei Degen" für eine Schau zur halleschen Freimaurer-Geschichte zu nutzen.
Halles Oberbürgermeisterin Dagmar Szabados verwies in diesem Zusammenhang auch auf die neue Dauerausstellung im Christian-Wolff-Haus, in der dieser Aspekt der Stadtgeschichte ebenfalls eine Rolle spielen wird. Und eine weitere Information zur Gestaltung des Leopoldina-Umfeldes war am Rande zu erfahren: Spätestens nach der für Dezember geplanten Übergabe des Gebäudes soll über eine neue Definition des Friedemann-Bach-Platzes nachgedacht werden. Ein Campus zwischen Landeskunstmuseum und nationaler Akademie - welch eine Aussicht.
Die Entwürfe sind bis 28. Februar im Ratshof zu sehen.