Leipziger Hörspielsommer Leipziger Hörspielsommer: Mehr Horchen als Gucken
Leipzig/MZ. - Der Mensch, das alte Augentier, braucht etwas zum Sehen. Und so starrt er unentwegt dorthin, wo es laut ist, wo Geräusche Bilder versprechen und Bewegung. Dabei gibt es da vorne nichts zu sehen, im Leipziger Clara-Zetkin-Park, spätnachmittags. Nichts, außer regendicht verpackten Lautsprechern, einer Bühne und Menschen, die stumm darauf hocken. Weiter hinten aber: Da liegen sie und hocken, fläzen sich auf Steppdecken und entkorken Rotweinflaschen. Einen Grill haben sie angeworfen vor ihrem Zelt. Manche sind mit Fahrrädern gekommen, andere mit Kinderwagen. Alle lauschen. Was ist passiert? Nun, in Leipzig hat sich über Nacht ein brandneues Festival zum Renner des Sommers entwickelt. Seit dem 13. Juli weht im Clara-Zetkin-Park, Nähe Stadtzentrum, der Wind von Woodstock durchs Eichenlaub.
An den Erfolg des ersten Hörspielsommers hat sich Mitorganisatorin Regine Schlumberger gewöhnt: 1000 Hörer waren es am Samstag. "Und zu Henning Mankell kamen sie wie die Fliegen." Doch so richtig erklären, warum Hunderte von Menschen es plötzlich toll finden, auf einer Wiese gemeinsam Hörspiele zu hören - das kann sie nicht.
"Vielleicht haben sie einfach nur genug davon, vom Fernsehprogramm zugemüllt zu werden", meint Schlumberger. Wie auch immer, die Marktlücke ist entdeckt. Regine Schlumberger studiert Anglistik, Politik und, wie die meisten Festival-Organisatoren vom Verein Sojus: Journalistik im Nebenfach. "Die Hauptfachstudenten", flötet sie scheinheilig, "machen lieber etwas Richtiges - Zeitung oder so." Normalerweise gibt "Sojus" alle drei Monate ein Jugendmagazin heraus, veranstaltet Seminare.
Doch weil das offenbar nicht genug war, hat man nun ein Hörspielfestival organisiert. Nicht das einzige in Deutschland, aber jetzt schon eines der größten. Das Medium wolle man "zum Gemeinschaftserlebnis" aufwerten, sagt Regine Schlumberger - und dass manche Sojus-Mitglieder absolute Freaks sind. "Die erkennen einen bestimmten Sprecher schon im Anlaut."
Bis zum 27. Juli ist, von 17 Uhr bis spät in die Nacht, Hörspielzeit. Montags gibt es Fantasy, dienstags Komödien, mittwochs Krimis - kurz: jeden Tag etwas anderes. Sojus hat auch einen Wettbewerb ausgeschrieben für Hörspielautoren, und wer am Ende von der fünfköpfigen Jury gekürt wird, hat einen Sendeplatz sicher. Auf jeden Fall im Studentenradio "Mephisto", vielleicht auch im Mitteldeutschen Rundfunk. "30 Teilnehmer", sagt Schlumberger zufrieden. Für sie und die Sojus-Leute dürften diese Tage beinahe Erholung sein: Die Fördermittel von Stadt, EU und Privatfirmen sind beantragt und bewilligt, die Nutzungsrechte von Sendern, Autoren und Verlagen eingeholt, die Plakate verteilt.
Nächstes Jahr alles noch Mal? "Na klar", sagt Schlumberger. Und wendet den Kopf dorthin, wo gerade Thomas Brussig zu reden beginnt. Aus den regendicht verpackten Lautsprechern.