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Leipzig Leipzig: Musik für Gehörlose

Von Michael Bertram 03.02.2011, 07:39
Gebärdenchor des Berufsbildungswerkes Leipzig. (FOTO: DPA)
Gebärdenchor des Berufsbildungswerkes Leipzig. (FOTO: DPA) dpa-Zentralbild

Leipzig/dpa. - Ziemlich laut dröhnt die Musik aus den Boxendes Ghettoblasters. Das Gerät steht auf dem Boden desMeditationsraums im Berufsbildungswerk (BBW) Leipzig und überträgtdie wummernden Bässe des Pur-Klassikers «Abenteuerland» auf dieKörper der «Sänger». Anja Fessel wippt im Rhythmus der Musik, währenddie Arme vor ihrem Körper kreisen. Ihre Lippen bewegen sich währenddes Liedes, doch es erklingt kein einziger Ton. Umso deutlicher«singt» die 26-Jährige jedoch mit ihren Händen.

Anja Fessel ist seit ihrer Geburt gehörlos. Und doch ist die Musikihre Leidenschaft. «Ohne sie könnte ich nicht leben», sagt die26-Jährige. «Die Musik berührt meine Seele.» Damit auch andereGehörlose in diesen Genuss kommen, hat sich das Ensemble desLeipziger Berufsbildungswerkes daran gemacht, bekannte Lieder ausCharts und Kirchenmusik in Gebärdensprache zu übersetzen.

Rund 60 Lieder wurden so über die Jahre schon mühsam einstudiert.Seit seiner Gründung im Jahr 1996 ist der Chor «Sign-Songs» ein Freizeitangebot der Einrichtung, in der rund 500 Hör- undSprachgeschädigte mehr als 30 Berufe lernen können. Singen in derDeutschen Gebärdensprache, der zweiten anerkannten Amtssprache in derBundesrepublik, ist aber immer noch exotisch - bundesweit existierennach Schätzung des BBW nur ein Dutzend Gebärdenchöre.

«Normalerweise werden Hör- und Sprachgeschädigten Beschäftigungenwie Rommé, Sport und Pantomime angeboten», erklärtGebärdensprachdolmetscherin Sandy Kober, die den Chor zusammen mitzwei Kolleginnen leitet. Das liege auch an der zunehmenden Emanzipation der Hör- und Sprachgeschädigten. «Sie haben ihreneigenen Weg gefunden und betrachten Musik überhaupt nicht mehr alsTeil ihrer Kultur», sagt sie. In vielen Fällen werde der Umgang mitMusik sogar völlig abgelehnt und nach einer anderen Freizeitaktivitätgesucht.

Nicht so im Leipziger Ensemble: Dort werden in eine guteÜbersetzung eines Popsongs schon einmal 5 Wochen Arbeit investiert.«Wir arbeiten meist mit der Deutschen Gebärdensprache, bei der nurdie Idee des Gesungenen übersetzt wird, während wir beilautsprachbegleitender Gebärde Wort für Wort übertragen», erzähltKober. Dementsprechend kryptisch wirken auch die Strophen auf denTextblättern im Probenraum.

Von Jahr zu Jahr hat der Chor seinen Bekanntheitsgrad gesteigert.Neben Auftritten bei Stadtfesten und Kirchentagen konnte sich«Sign-Songs» auch über eine Einladung aus Norwegen und im Jahr 2001über den Jugendkunstpreis des Freistaates Sachsen freuen. Seiteiniger Zeit interessieren sich auch professionelle Sänger für dieArbeit des Chores. So gab es mit der A-Capella-Gruppe «Wise Guys»bereits mehrere gemeinsame Auftritte.

Sängerin Anja Fessel ist unterdessen wieder konzentriert. Siewartet auf das wohlige Gefühl des ersten Basses in ihrem Bauch unddamit auf ihren Einsatz für das nächste Lied. Songs von MichaelJackson, Reamonn oder Pur mit den Händen zu singen - kaum etwaskönnte ihr heute größere Freude bereiten. Durch den Gebärdenchor hatdie gehörlose Anja Fessel ihren Weg zur Musik entdeckt und sogarschon ein eigenes Lied komponiert.