1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Leipzig: Leipzig: Konzert im Bordell

Leipzig Leipzig: Konzert im Bordell

Von Nora Gohlke und Verena Frick 22.11.2009, 10:17
Ein Musiker spielt am Freitag in Leipzig in der Bar des Bordells Eros Centers «Haus am Wasserturm» bei einem Bordellkonzert des Forums Zeitgenössischer Musik (FZML) eine Oboe. (FOTO: DDP)
Ein Musiker spielt am Freitag in Leipzig in der Bar des Bordells Eros Centers «Haus am Wasserturm» bei einem Bordellkonzert des Forums Zeitgenössischer Musik (FZML) eine Oboe. (FOTO: DDP) ddp

Leipzig/ddp. - Auf halsbrecherischen Absätzen huschen sie zwischen dendunkelroten Samtsofas hin und her, immer um das Wohl ihrer Gästebemüht. Die Gesichter halten sie an diesem Freitagabend hinter weißenMasken verborgen. «Herzlich willkommen an einem Ort, an dem siewahrscheinlich noch nie waren - und wenn, sie es nie zugeben würden»,begrüßte Thomas Heyde, künstlerischer Leiter des ForumsZeitgenössischer Musik Leipzig (FZML), das Publikum. Das Forumveranstaltet seit 2005 Konzerte an ungewöhnlichen Orten - diesmal inder Striptease-Bar des Leipziger Eros Centers, einem Bordell.

Musikalisch werden die rund 60 Zuhörer mit der «Zuhälterballade»aus Bertolt Brechts Dreigroschenoper auf den Ort des Geschehenseingestimmt. Sängerin Daniela Zanger trägt ein bodenlanges blutrotesKleid. Lasziv bewegt sie sich auf dem schmalen Laufsteg, der sichdurch den Raum zieht. An den Stangen lassen normalerweiseStripperinnen die Hüften zu dröhnenden Techno-Bässen kreisen. «Wirversuchen, den Ort nicht zu verändern, sondern so zu zeigen, wie erist», erklärt Heyde. Das müsse das Publikum aushalten.

Und zu dem Ort gehören Erotik und nackte Haut. Beim «Rhythm strip»der beiden Schlagzeuger des MDR Symphonie Orchesters streifen zweispärlich bekleidete Frauen durch das Publikum. Eine scheinbarzufällige Berührung hier, ein Flüstern ins Ohr eines männlichenZuhörers da, und dann steigen sie zu den Musikern auf die Bühne. DieTänzerinnen fordern die Künstler heraus, lassen ihre Oberteile aufdie Instrumente fallen. Die Musik reagiert ihrerseits mitekstatischem Trommelwirbel.

«Ungewohnt», aber «interessant» nennen die beiden TänzerinnenCsilla und Greta den Auftritt hinterher. «Das Publikum stand diesmalnicht so sehr wie sonst im Vordergrund», sagt Csilla. Als sie dieTrommel-Musik zum ersten Mal hörte, war die 31-Jährige erschrocken.«Ein richtiger Rhythmus fehlt, um richtig locker zu werden»,pflichtet auch Greta ihrer Kollegin bei. Ungewohnt war die Situationauch für die Musiker. «Ein wenig» hätten ihn die Tänzerinnen bei denProben schon abgelenkt, gestand Fagottist Kristian Petkov lächelnd.

Das Stück «Wellen vom Untergrund» von Thomas Heyde, der auchkomponiert, empfand einen Liebesakt vom Vorspiel bis zum Höhepunktnach. Mit extremen sexuellen Vorlieben beschäftigten sich die«Liderlichen Lieder» von Gottfried von Einem: Ein Sodomist, der ineinen Maikäfer vernarrt ist, ein Transvestit, der als grauerBuchhalter sein Geheimnis verdeckt, und ein Fetischist, der nicht voneinem roten Damenschuh lassen kann, entführten auf humorige Weise indie Welt der sexuellen Fantasien.

Die Künstler gingen pragmatisch an das Thema heran. DasBordellkonzert ist Teil der Reihe FreiZeitArbeit. Dabei treten dieMusiker an Orten auf, an denen Menschen ihre Arbeits- und Freizeitverbringen. Tabuzonen gibt es Heyde zufolge nicht. «Wir können unsnur auf der Ebene der Musik mit dem Thema auseinandersetzen. Den Restmuss das Publikum selbst machen», sagt er. Den Vorwurf des «Sexsells» will er sich für das Bordellkonzert nicht gefallen lassen. DieAufregung, die in der Öffentlichkeit darum gemacht wurde, zeige nur,dass manche Orte immer noch tabuisiert würden. Auch darauf wolle manhinweisen.