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Leipzig Leipzig: Klangvoller Krach der Geigen und Hämmer

Von GÜNTER KOWA 01.04.2009, 17:26

LEIPZIG/MZ. - Doch weit gefehlt - hinter den Fassaden war einst der Krach und Gestank der Industrie zuhause, die aber auch Klang und Duft produzierte.

Allen voran die Weltmarktführer von mechanischen Musikautomaten: Die Firma "Leipziger Musikwerke vormals Paul Ehrlich" feierte 1885 den Bau der 100 000 "Orchestrionette", und das gegen die Konkurrenz etwa des "Symphonions" der "Fabrik Lochmannscher Musikwerke Kuhno, Lochmann & Co." oder des "Phänomenal" der Firma Staffelstein & Kluge. 1882 entsteht in der Nachbarschaft auch die "Aromafabrik Oehme & Baier". Sie stellte anfangs "Fruchtessenzen und giftfreie Konditoreifarben" her. Noch bis zur "Wende" blieb sie als "VEB Geschmacksstoffe" in Betrieb. Das freilich ist eher die Ausnahme. Die Fabriken von Gohlis sind entweder verschwunden oder zu Wohnungen umgebaut.

Lampen fallen von der Decke

Auf die Spurensuche gemacht hat sich der Leipziger Denkmalpfleger Stefan Krieg. Gemeinsam mit Studenten der Universität hat er die Bau- und Nutzungsgeschichte Gohliser Straßen akribisch durchleuchtet. Herausgekommen ist ein schmaler, fein gestalteter Band in der Serie "Gohliser Historische Hefte", der nach einer knappen Einführung alle einstigen Industrieadressen in den Blick nimmt. Ein halbes Dutzend davon kommt ausführlich zur Sprache: von der Geigen-, später Nähmaschinen- und Besteckfabrik Wilhelm von Pittler über die Aktienbrauerei Gohlis bis hin zur einst weltgrößten Drahtseilbahnfabrik Adolf Bleichert & Co. Ein Anhang listet Straße für Straße alle Nachrichten über Industrieadressen auf. Aus Gohlis, staunt man, kamen Fahrräder, Leierkästen, Mineralwasser, Zement, Zahnräder, Klebstoffe, Bürsten, Jalousien, Zigarren, Handschuhe, Sauerkraut und Lederwaren.

Eher beiläufig entsteht dabei auch ein Bild davon, wie es sich in diesem Viertel lebte, als überall Schornsteine über die Dächer ragten und in jedem Hof eine Werkstatt klapperte. Die Akten berichten von Nachbarschaftsklagen. Etwa wenn durch die Hammerschläge in einer Fabrik "sämtliche Lampen in unserem Local herunterfallen". Oder wenn Nachbarn die "ungeheuerliche Zumutung" anprangern, dass sich Arbeiterinnen an den Fenstern umkleiden.

Das "Takraf"-Gebäude retten

Der Autor als Mann der denkmalpflegerischen Praxis vermerkt auch den zumeist wenig erfreulichen Umgang mit dem gebauten Industrieerbe. Das meiste ist verschwunden, vieles entstellt, doch es gibt auch Beispiele sinnvoller Umnutzung zumeist zu Wohnungen. Als dringlichste Aufgabe stellt er die Rettung der leer stehenden Gebäude der Drahtseilbahnfabrik heraus - bis zur Wende Sitz der "Takraf". Gewonnen hätte der Band mit ein paar größeren Fotos und einem für eigene Erkundungen nutzbaren Stadtplan. Die Texte zu den einzelnen Gebäuden sind reichlich archivlastig, aber sie stecken voller Entdeckungen zur verkannten Industriegeschichte des Viertels.

Stefan W. Krieg: Industriearchitektur in Leipzig-Gohlis. Sax-Verlag, Beucha, 192 Seiten, mit zahlreichen Fotos, 16 Euro.