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Leihgabe Leihgabe: «Tante Marianne» ist nun in Dresden zu sehen

Von Simona Block 04.04.2007, 12:41

Dresden/dpa. - Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden sind - zumindest auf Zeit - um eine Attraktion reicher: Seit Mittwoch hängtGerhard Richters Gemälde «Tante Marianne» in der Sempergalerie imDresdner Zwinger. Das frühe Meisterwerk des weltberühmten Künstlerswurde im Beisein von Leihgeber Pierre T.M. Chen aus Taiwan vorsichtigausgepackt und aufgehängt. Der in der Elektronikbranche erfolgreicheUnternehmer hatte es im Juni 2006 für 2,136 Millionen Pfund (3,113Millionen Euro) in London ersteigert. «Es wird für eine längerePeriode, mindestens bis Ende 2009 hier bleiben», sagte Chen.

Richters Doppelporträt ist eines der frühen Meisterwerke des 75-Jährigen, der neben Georg Baselitz und Sigmar Polke zu denbedeutendsten Gegenwartskünstler zählt. Während der Sanierung desAlbertinums, der Heimstatt der Galerie Neue Meister, wird das Bild«in der Notunterkunft an noblem Ort» gezeigt, sagte Kunstsammlungs-Generaldirektor Martin Roth. Später soll es von dort aus auchverliehen werden. «Zur Eröffnung des Albertinums 2009 ist es aberwieder hier», versicherte er.

Behutsam holten Museumsmitarbeiter das Schwarz-Weiss-Gemälde ausder Transportkiste, entfernten die Folie und legten es auf denvorbereiteten Tisch. Chefrestauratorin Marlies Giebe und Chen nahmendas Bild in Augenschein, prüften es auf eventuelle Beschädigungen.Nur wenige Minuten später hing «Tante Marianne» in dem kleinenKabinett-Saal an der Wand. Das 100 mal 115 Zentimeter messende Bildgehört zur Gruppe der so genannten Fotobilder, die er nach seinerFlucht aus der DDR im Februar 1961 begonnen hatte.

Das 1965 nach einer Fotografie aus dem Familienalbum entstandeneÖlbild zeigt den Maler 1932 als vier Monate altes Baby auf dem Schossseiner damals 14 Jahre alten Tante Marianne Schönfelder in Dresden.Wenige Jahre später wurde bei ihr Schizophrenie festgestellt und siein die Psychiatrie eingewiesen. 1945 starb sie als eines von fast8000 Euthanasie-Opfern in der Psychiatrischen Anstalt Großschweidnitz(Sachsen). Beerdigt wurde sie in einem Massengrab. Richter selbst hatnach eigenem Bekunden nichts vom Leidensweg seiner Tante gewusst, alsdas Bild entstand.

Es ist wie «Onkel Rudi» eines der privaten Schlüsselbilder, dieRichter 1965 innerhalb weniger Monate malte und die das Schicksalseiner Familie unter dem Nationalsozialismus in Dresden berühren.Neben anonymen Vorlagen aus Zeitungen und Illustrierten habe er immerwieder auf Motive aus seinem privaten Fotoalbum zurück gegriffen,sagt der Leiter des Gerhard Richter Archivs in Dresden, DietmarElger. Es verwahrt - für die Forschung zugänglich - zahlreicheunpublizierte Dokumente und Materialien aus dem Atelier des in Kölnlebenden Malers.

An das Foto, das Richter als Vorlage für «Tante Marianne» diente,kommt Elger nicht mehr heran. Es ist verschollen, seit es eineitalienische Zeitschrift abgedruckt hat. «Hinter der bin ichnatürlich her, aber es ist schwierig», erzählte Elger. «Als ich ihmerzählt habe, dass das Bild nach Dresden kommt, hat er nur gesagt:Ja, ja, findet er gut», berichtete Elger von der Reaktion des Malers.Der hatte das Bild einst einem Stuttgarter Sammler für umgerechnetweniger als 1500 Euro verkauft. Mehr als 40 Jahre später erhielt einanonymer Bieter am Telefon den Zuschlag bei Sotheby's. «Wir hattenkeine Chance, in so kurzer Zeit so viel Geld aufzutreiben», sagteRoth im Rückblick.

Er gab jedoch die Hoffnung nicht ganz auf, brachte den Käufer inErfahrung und flog im Dezember 2006 nach Taipeh, zu Chen. Der besitzteine bedeutende Sammlung mit Werken chinesischer, amerikanischer undeuropäischer Künstler. «Wir sind dann schnell überein gekommen, dassTante Marianne als Leihgabe nach Dresden kommt», erzählte er. In derGalerie Neue Meister ist das einst in Düsseldorf gemalte Bild am Ortseines geschichtlichen Ursprungs und zudem in bester Gesellschaft.

2004 hatte Richter 41 Bilder aus seinem Fundus sowie aus privatenSammlungen als Leihgaben nach Dresden gegeben. Für mehrere Monate warzudem sein RAF-Zyklus als Leihgabe in seiner alten Heimat zu sehen.Die Leihgabe von «Tante Marianne» sieht Chen als Auftakt für einelangfristige Partnerschaft seiner Yageo Stiftung, die zeitgenössischeKünstler fördert, mit den Kunstsammlungen. Für 2008 geplant ist eineSchau mit Werken der Klassischen Modern sowie Gegenwartskunst imasiatischen und westlichen Kontext in Dresden.