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Sachbuch Leben im Kanzleramt: Jochen Arntz und Holger Schmale schreiben über "Die Kanzler und ihre Familien"

Von Thomas Geisen 19.05.2017, 15:37
Jochen Arntz und Holger Schmale vor dem Bonner Kanzleramt.
Jochen Arntz und Holger Schmale vor dem Bonner Kanzleramt. Grönert

Bonn - Es ist einer dieser typischen Bonner Tage, wenn die Temperaturen steigen und eine unangenehme Schwüle die ehemalige Bundeshauptstadt niederdrückt. Entwicklungshelfer, so erzählt man, sollen hier klimatisch auf ihre Einsätze in tropischen Regionen vorbereitet worden sein.

Und Willy Brandt, der große alte SPD-Bundeskanzler, brachte zu Beginn seiner Amtszeit sogar ein ärztliches Attest bei, um in dieser Treibhaus-Atmosphäre nicht auch noch privat wohnen zu müssen. Er mied den Kanzler-Bungalow in Rhein-Nähe und wollte auf dem Venusberg Frischluft atmen.

Solche Anekdoten erfuhr, wer sich dann trotz des kurzen Sommer-Gastspiels in eben diesen Bungalow begab, um eine Buch-Präsentation zu erleben, die dort und eigentlich nur dort stattfinden konnte: Jochen Arntz und Holger Schmale lasen aus ihrem im Dumont-Verlag erschienenen Buch „Die Kanzler und ihre Familien“ und berichteten von ihren Erlebnissen, ihren Recherchen, ihren Einschätzungen, „wie das Privatleben die deutsche Politik prägt“ – so der Untertitel des Buches.

Ein Bungalow für die Kanzler, aber nicht für Familien

Arntz, Chefredakteur der „Berliner Zeitung“, offenbarte, dass mit dem Buch praktisch ein Kreis geschlossen würde, Anfang und Ende in Bonn: bei einer Besichtigung des Bungalows blieb Arntz fasziniert vor einem dort ausgehängten Schreiben stehen, ein Brief, ebenso banal wie fast schon tragisch – wie die Bonner Republik ja oft daher kam.

Schlusspunkt eines Familienlebens, eines Kanzlerfamilienlebens – im Sommer 1999, kann man dort lesen, kündigt Hannelore Kohl auch im Namen ihres Mannes das Mietverhältnis mit der Bundesrepublik Deutschland. 3600 Mark musste die Familie pro Monat hinblättern für „diesen wunderbaren leichten Klassiker der Moderne“, der jedoch so ganz und gar nicht für ein Familienleben vorgesehen war.

Kohl-Sohn Walter wird in dem Buch mit den Worten zitiert, dass er sich noch heute frage, „wie man sich darin ausstrecken, geschweige denn ausleben konnte“. Die repräsentative Großzügigkeit des Bungalows im Kontrast zu seiner Familienfeindlichkeit ist der „kleine Bogen“, den Arntz als eine Leitidee für das Buch anführt.

Wo kommen die Kanzler her?

Und der „große Bogen“? Holger Schmale, seit 2010 Chefkorrespondent der DuMont Hauptstadtredaktion, blickt noch weiter zurück: „Wo kommen die her?“, wollte er über die Kanzler – und eine Kanzlerin – wissen. Spätestens hier wird klar, wie weit das Feld ist: der Rheinländer Konrad Adenauer – acht Kinder – wurde im vorvergangenen Jahrhundert geboren, die Ostdeutsche Angela Merkel – keine eigenen Kinder – hat einen so ganz anderen Blick auf Familie.

Schmale liest von der Vereidigung Merkels am 22. November 2005 vor, wer alles an großer und kleiner Prominenz im Bundestag auf der Tribüne Platz nimmt. „Einer aber fehlt, … Joachim Sauer, ihr Ehemann. Der Professor für Quantenchemie an der Berliner Humboldt-Universität habe die Wahl am Bildschirm verfolgt, heißt es später. Wichtige Arbeiten hätten ihn vom Besuch im Parlament abgehalten.“ Man weiß gar nicht so recht, ob man das tragisch, komisch oder normal finden soll.

Nun sind weder das Buch noch der Abend eine Aneinanderreihung von Anekdoten, sondern eine durchaus seriöse Annäherung an das Private, der Versuch, Antworten auf die Frage zu geben, inwieweit hier Menschen geprägt wurden, inwieweit sie ihrerseits die Politik beeinflusst haben (Arntz).

Gerhard Schröder – ein Kanzler der Frauen

Überraschendes gab es für diejenigen, die nicht ganz so tief im Politgeschehen verwurzelt sind: der Macho und Brioni-Kanzler, der Cohiba rauchende Gerhard Schröder, der Familienpolitik als „Gedöns“ bezeichnete, von ihm schwärmt Holger Schmale: „Kein Kanzler hat so viel für die Frauen getan wie er.“

Über das Abtreibungsrecht wird in Bonn gesprochen, über das Scheidungsrecht und über mögliche Einflüsse der Ehefrauen Loki Schmidt und Rut Brandt auf ihre viel beschäftigten Gatten. Darüber, dass die Herkunft von Hannelore Kohl aus Sachsen Helmut Kohl auch sicher zu seiner Entschlossenheit bei der deutschen Wiedervereinigung bestärkt habe.

Moderatorin Ferdos Forudastan fragt die Autoren nach der Gefahr einer „Überinterpretation“: Ob sich denn die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel mit ihrer Herkunft aus einem protestantischen Pfarrershaushalt erklären lasse? Die langjährige Journalisten war von September 2012 bis zum Ende seiner Amtszeit Sprecherin von Bundespräsident Joachim Gauck.

Die Spuren der Kanzler in der Politik

Also etwas mehr Zurückhaltung, etwas mehr Abstand? Das kann sogar politisch geboten sein, wie das Beispiel Rudolf Scharping zeigt, der mit seiner neuen Liebe Gräfin Pilati Turtelfotos in einem Pool auf Mallorca machen ließ. Oder Christian Wulff, der sich plötzlich im Jetset tummelte, oder unlängst Torsten Albig, der wohl auch wegen eines Interviews mit Äußerungen über seine alte und neue Partnerin abgewählt wurde – hier wurden Grenzen überschritten.

Der Abend war trotz der Schwüle durchaus heiter, das Buch ist bestens zu lesen. Und wie steht es um die Aktualität des Themas?

Es war, ist und wird uns erhalten bleiben, so viel steht fest. Und eine ernüchternde Erkenntnis ebenfalls: das Familienleben unserer Kanzler hat zweifellos Spuren in der Politik hinterlassen. Auch künftigen Amtsinhabern im Kanzleramt aber dürfte wenig Zeit für ein eigenes Familienleben bleiben. Vielleicht ist das ja ein Argument, die Amtszeit zu beschränken. Aber das ist ein anders Thema.

„Die Kanzler und ihre Familien – Wie das Privatleben die deutsche Politik prägt“, von Holger Schmale, Jochen Arntz, 272 Seiten, 20 Abbildungen, 22 Euro.