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Landesbühne Sachsen-Anhalt Landesbühne Sachsen-Anhalt: Theaterleute in Eisleben wollen kämpfen

Von andreas montag 21.06.2013, 18:54
Berufsschüler aus Heldrungen proben auf der Bühne in Eisleben. Unten: Intendant Ulrich Fischer ist gestenreich bei der Arbeit.
Berufsschüler aus Heldrungen proben auf der Bühne in Eisleben. Unten: Intendant Ulrich Fischer ist gestenreich bei der Arbeit. jürgen lukaschek Lizenz

eisleben/MZ - Da steht er vor den jungen Leuten und kann nicht anders - er probt mit ihnen, als ob da draußen, im fernen Magdeburg, nicht gerade das Szenario für ein ganz anderes Stück geschrieben worden sein würde. Und die Darsteller, die eigentlich Berufsschüler aus Heldrungen sind, tun es Ulrich Fischer, dem Intendanten des Hauses, gleich. Sie wissen natürlich Bescheid, die Landesbühne Sachsen-Anhalt in der Lutherstadt Eisleben ist vom Kultusminister Stephan Dorgerloh (SPD) gerade zum Abschuss freigegeben worden.

Aber die jungen Frauen und Männer legen sich wie Profis ins Zeug und beginnen, wenn es sein muss, eine Szene auch ein drittes Mal von Neuem, ohne dass irgendwer maulte. „Dafür, dass ihr zum ersten Mal auf der Bühne steht, habt ihr ganz schön viel falsch gemacht“, sagt Fischer. Das ist Mansfelder Humor, der immer ein bisschen um die Ecke gedacht ist. Die jungen Akteure verstehen den Spaß. Fischer hat den Ton getroffen. Das ist auch eine Gabe. Der Landesregierung geht sie eher ab.

Drei Ensemblemitglieder aus Eisleben spielen und lesen gemeinsam mit den Schülern aus Heldrungen sowie mit deren Parallelbesetzung vom Gymnasium in Hettstedt Szenen und Texte aus dem Roman „Give a Boy a Gun“ von Morton Rhue. „Ich knall euch ab!“ heißt die Bühnenfassung, sie handelt von Mobbing und Gewalt unter Schülern, die zu einer verzweifelten Gewalttat der gedemütigten Opfer führen. Am Donnerstag war Premiere für die Hettstedter, einen Tag später für die Truppe aus Heldrungen. Entsprechend hart ist noch Mitte der Woche geprobt worden. Es könnte eine Freude sein, das anzusehen, wenn es nicht Grund gäbe, traurig zu sein. Maßlos enttäuscht. Stinksauer sogar.

1,3 Millionen Euro hat das Theater bislang jährlich aus Landesmitteln bekommen, die sollen nun wegfallen. Das können die Rechtsträger des Hauses, der Kreis Mansfeld-Südharz sowie die Städte Eisleben und Hettstedt, nicht auffangen. Zumal die Städte ja selber arm dran sind. 1,3 Millionen Euro, ein Fliegenschiss im Landesetat. Und die Existenzgrundlage für das Theater, das sich in den zurückliegenden Jahren schon einsichtsvoll in der Kunst des Überlebens mit immer weniger Nahrung übte. 211 Mitarbeiter zählte das Haus, als Fischer 1986 als junger Dramaturg hier anfing. Heute sind es, den Intendanten mitgezählt, noch 50. Und zwar zum Haustarif, was ein schöneres Wort für Selbstausbeutung ist. Aber Einsicht wird nicht belohnt. Schon gar nicht in Zeiten, in denen der Landesvater Reiner Haseloff von der CDU und sein sozialdemokratischer Finanzminister Jens Bullerjahn, ein Mansfelder übrigens, der über den Dingen steht, ihr Völkchen dazu aufrufen, den Gürtel enger zu schnallen. Da müssen alle Opfer bringen, heißt die Parole. Und wenn ein Theater über die Wupper geht, dann ist das eben so.

Man erinnert sich unwillkürlich an eine Satire des Russen Michail Sostschenko: „Die Kuh im Propeller“ erzählt, wie der Genosse Grigori Kossonossow, der Wächter der Fliegerschule, zu frühen Sowjetzeiten auf Urlaub in sein Heimatdorf fährt und die Bauern von der Kraft des Flugwesens überzeugen will. Käme eine Kuh in den Propeller, ritschratsch, wäre sie in Stücke gerissen. Und Pferde?, fragen die verängstigten Bauern. Auch Pferde, trumpft Grigori auf.

So machen sie es jetzt mit den Theatern im Land. Ritschratsch. Und der Sparwillen des Genossen Bullerjahn wird triumphieren. Fragt sich nur, um welchen Preis, denkt Ulrich Fischer. „Wenn sich unsere Demokratie immer mehr von Kultur und Jugendarbeit zurückzieht, dann machen es andere. Und bestimmt nicht in unserem Sinne.“ Fischer denkt an die neuen Nazis, die sich seit Jahren breit machen im Gemeinwesen. Die hätten bestimmt auch Verwendung für ein verwaistes Theater.

Aber Nazis sind jetzt gerade kein Thema, jetzt steht ja Beate Zschäpe endlich in München vor Gericht und bekommt den Prozess gemacht. Frau Zschäpe ist das Böse, und wir sind gereinigt von aller Schuld und bar jeder Sorge... Es könnte einen schon der Mut verlassen angesichts der Gedankenlosigkeit, die üppig im Lande gedeiht.

Ulrich Fischer setzt immerhin eine gewisse Hoffnung auf Dirk Schatz, den Landrat. Der fühlte sich düpiert von der Mitteilung, dass sein Theater kein Geld mehr bekommen und damit faktisch geschlossen werden soll. Für den Montag hat er eine Sondersitzung des Kreistages und der Theatergremien einberufen, um zu prüfen, ob seine Truppen hinter ihm stehen. Nur so hat er eine Chance, das Haus zu retten, wenn es denn überhaupt eine gibt. Immerhin haben weder das Kabinett noch der Landtag die Vorschläge des Kultusministers schon abgesegnet.

Der aber betreibt indessen sein eigenes Marketing. Im Deutschlandfunk hat er dieser Tage ausführlich Zeugnis von den Flutschäden abgelegt, die es in Sachsen-Anhalts Kultur zu beklagen gibt. Ein böser Mensch könnte auf den Gedanken kommen, dass solch ein Hochwasser eben auch sein Gutes hat. Nach den Theatern im Lande hat man Stephan Dorgerloh jedenfalls nicht gefragt. Da wird er vielleicht nicht traurig gewesen sein.

Ulrich Fischer indes hadert mit dem Regierungschef Haseloff. Der hatte gesagt, alle Theater seien seiner Regierung gleich lieb. Deshalb sollen Halle und Dessau ja nach einem Pro-Kopf-Schlüssel auf Magdeburger Maß gestutzt werden. „Und in Eisleben“, sagt Fischer sarkastisch, „lebt demnach überhaupt keiner mehr. Oder doch niemand, der wichtig genug wäre, beachtet zu werden.“

Kämpfen wollen sie, die Theaterleute in Eisleben. Weil sie ihre Arbeit lieben. Weil diese Arbeit wichtig ist, zumal für junge Leute. Im Herbst wird das Haus 60 Jahre alt. Mal sehen, ob es was zu feiern gibt.

Ulrich Fischer, Intendant des von Schließung bedrohten Theaters in Eisleben
Ulrich Fischer, Intendant des von Schließung bedrohten Theaters in Eisleben
Lukaschek Lizenz