Landesbühne Sachsen-Anhalt Landesbühne Sachsen-Anhalt: Struwwel-Adolf wird zur suggestiven «Führer»-Figur
Eisleben/MZ. - Neun Jahre später trieb der Dichter Bertolt Brecht die Inflation der Werte noch weiter, als er im finnischen Exil seine Parabel "Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" schrieb: Karfiol - also ein dialektisch verfärbter Blumenkohl - war nun der Zweck, der alle Mittel heiligen sollte.
An der Landesbühne Eisleben erzählt Regisseurin Martina Bode diese exemplarische Gangster-Geschichte mit großer Sorgfalt und demonstrativer Deutlichkeit. Peer Palmowski hat ihr einen Bühnenraum entworfen, der von einer deutschen Marken-Tapete überzogen wird: Einträchtig prangen die Logos von Geld-Instituten und Automobil-Herstellern, Technologie-Konzernen und Reise-Veranstaltern, am Gipfel der Treppenlandschaft öffnet sich ein Ausgang in flammende Zukunft.
Spiel mit großen Namen
Vor solchem Hintergrund verschwimmt die Grenze zwischen Geschäftsmann und Gunman - und der lächerliche Struwwel-Adolf verwandelt sich in eine suggestive "Führer"-Figur. Dass dies gelingt, ist vor allem Hardy Halama zu danken: Der für die Titelrolle engagierte Gast weiß nur allzu gut um die großen Namen, die man mit der Darstellung seiner Figur und ihres realen Vorbilds verbindet. Doch statt Ekkehard Schall oder Martin Wuttke, Charlie Chaplin oder Bruno Ganz auszuweichen, spielt er mit ihnen - und findet zu einer eigenen Mischung, die aus dem Lächerlichen allmählich das Erschreckende destilliert. Nachdem seine groteske Körpersprache anfangs einem nervösen Pleitegeier glich, der im Hinterhalt auf Aas lauerte, gewinnt er mit der Kontrolle über seine Gliedmaßen auch die Macht über die Massen - und legt mit seiner folkloristischen Verkleidung zugleich letzte Skrupel ab.
Die Regisseurin sorgt - unterstützt von ihrem Pianisten Sebastian Undisz - für eindeutige Lesbarkeit. Von der blechtrommelnden Ansagerin bis zum hindenburgischen Charakterkopf des alten Dogsborough, vom goebbelsschen Klumpfuß des Demagogen Givola bis zur göringschen Wampe des Killers Giri sind alle Gestalten zu voller Kenntlichkeit maskiert und werden vom Ensemble präzise gezeichnet. Etüden wie der Tanz des großen Diktators mit dem Karfiol-Globus oder der ungewollt aufgeschminkte Oberlippenbart sorgen für zusätzlichen Glanz.
Offenkundig aktuell
Es ist ein kraftvoller Abend, dessen Aktualität auch ohne Brechts berühmte Schlusszeile vom fruchtbaren Schoß offenkundig wäre. Dass die Landesbühne mit dieser Arbeit selbstbewusst an ihre Grenzen gegangen ist, findet nicht zuletzt durch das große Interesse an Gastspielen im Brecht-Jahr den verdienten Lohn. Dass der große Vereinfacher sein Stück freilich an jenem Punkt enden ließ, an dem das maschinelle Morden erst seinen Anfang nahm, kann auch die Eisleber Inszenierung nicht kaschieren.
Denn das, was nach Reichstagsbrand und Röhm kam, lässt sich mit Metaphern wie Bronx und Browning nicht mehr erzählen - und war, wie die Geschichte lehrt, erst in der Katastrophe aufhaltsam.
Nächste Vorstellung am Mittwoch um 19.30 Uhr