Kurt-Weill-Fest Kurt-Weill-Fest: Nicholas Muni inszeniert die Oper «Street Scene»
Dessau/MZ. - Nicholas Munis Gast-Inszenierung am Anhaltischen Theater Dessau versetzt Weills Broadway-Oper "Street Scene" aus dem Schmelztiegel New York in den Schlackehaufen einer deutschen Nachkriegs-Stadt - und nimmt dafür einen hohen Preis in Kauf. Denn sein Konzept, das die Gegenwart des Stückes in der Traumwelt eines frierenden Mädchens gestaltet, filtert nicht nur den vermeintlichen Realismus der Vorlage. Es erfordert zugleich musikalische Zugeständnisse, wenn Auftakt und Finale als Rundfunk-Übertragung die ergreifende Unmittelbarkeit einbüßen.
Was optisch durchaus Erkenntnis stiftet, bleibt akustisch problematisch. Während der Regie jene allmähliche Verlagerung der Wirklichkeit glückt, die sich in der Perspektive von Stefan Rieckhoffs atemberaubender Ruinen-Kulisse bereits andeutet, bleibt der fließende Übergang aus dem Radio-Lautsprecher in den Orchestergraben trotz aller Perfektion ein Kompromiss. Gerade weil Golo Berg mit der Anhaltischen Philharmonie punktgenau musiziert, weil er die vielen Farben der Partitur gegen den goldigen Grundton der Szene ausspielt, spürt man den atmosphärischen Verlust - und das Fehlen jenes Überrumpelungs-Effekts, der den Zuschauer sonst vor der Front dieses Mietshauses fesselt.
Statt dessen gewinnt man - wie das Mädchen Rose - erst allmählich Anteil am bunten Mikrokosmos, den Weill mit seinen Librettisten Elmer Rice und Langston Hughes in ihrem Genrebild entwirft. Neben dieser Hauptfigur steht man anfangs staunend und ohnmächtig vor den schwelenden Konflikten zwischen Rassen und Ideologien, mit ihr wird man Augenzeuge des kleinen Glücks und der Alltags-Tragödien. Dass man aber mit ihr schließlich auch den letzten Schritt der Anteilnahme vollziehen kann, verdankt der Regisseur seiner Darstellerin.
Denn Christina Gerstberger muss als Rose nur ihre Brille abnehmen, um den Traum hinter den Trümmern zu sehen - und ihren Platz darin zu finden. In ihrer anrührenden Mischung aus Verzweiflung und Selbstbehauptung findet das Stück sein Zentrum sowie sein überraschendes Ziel. Das stellt zwar einen Eingriff in die demokratische Konstruktion des Stückes dar, dank derer die Hierarchie von Haupt- und Nebenfiguren bewusst relativiert wird. Der Aufbau wie die Zerstörung der Traumwelt aber gibt Munis Lesart auch deshalb recht, weil mit dem Radio ein Leitmedium der Weill-Moderne zertrümmert wird.
Bis zu dieser überraschenden Pointe sieht man sich einer Fülle von Situationen und Figuren ausgesetzt, die Janice Hall und Ulf Paulsen stimmlich wie darstellerisch dominieren. Ihre Familien-Tragödie wird durch die simultane Darstellung von Geburt und Tod, von Feier und Verbrechen nicht geschmälert und nimmt selbst durch Stefan Troßbachs neue Übersetzung keinen Schaden - obwohl hier die angestrebte Alltäglichkeit gelegentlich zur Parodie verkommt.
Die droht auch dort, wo sich Alexander Grünwalds Choreografie vom harten Pflaster der Tatsachen verabschiedet. Gewollt und geglückt ist die Karikatur des großen Festival-Auftakts hingegen in jenen Momenten, in denen die Kinder der Straße den amerikanischen Traum spielen - und verlachen.
Nächste Vorstellungen: 16. April und 14. Mai, je 19.30 Uhr