Kurt-Weill-Fest Kurt-Weill-Fest: Mit sicheren Schritten über den Regenbogen
Dessau/Köthen/MZ. - Dass man ungefähr zu jener Zeit, als dieses Bauhaus in Dessau errichtet wurde, auch noch Träume aus rostigem Blech, feuchtem Stroh und räudigem Fell erschaffen konnte, bewies nun ein Konzert in der Aula der einstigen Lehranstalt für Visionäre. Dabei ging es den Musical-Studenten der Berliner Universität der Künste um einen Platz "Somewhere over the Rainbow", den der L. Frank Baum an der Schwelle zum 20. Jahrhundert erdachte - und den Judy Garland erstmals besuchte, als in Europa der Zweite Weltkrieg ausbrach.
Drei Musicals erzählen von diesem wundersamen Ort namens Oz, an dem ein freundlicher Blender Herzenswünsche erfüllt: Der klassische "Wizard of Oz", die Harlem-Version "The Wiz" und der aktuelle Bühnenerfolg "Wicked". Alle drei wurden von Peter Kock und Michael Dixon zu einer Collage verwoben, die kurz und (am Ende) auch weillig war. Dass man sich gelegentlich die berühmten grünen Brillen gewünscht hätte, um Smaragde auf der Bühne leuchten zu sehen, lag sicher auch an der leichtfertigen Gestaltung des Abends.
Über eine Nummern-Revue, in der viel gesungen und ein wenig getanzt wurde, kam das Ganze nämlich kaum hinaus. Das aber ist - angesichts des Rufs, den die Berliner beim Weill-Fest zu verlieren haben - ein wenig zu wenig. Nur selten war es - vor allem Jeanette Claßen in "Popular" und Sebastian Smulders in "Was mir fehlt" - den jungen Sängern vergönnt, neben ihrem Song auch den Charakter voll zu entfalten. Dass sie es alle könnten, soll nicht bezweifelt werden - auch in Erinnerung an Highlights wie "Into the Woods", denen musikalisch ebenfalls ein Korsett aus Ebenholz und Elfenbein genügte.
Ein Vergleich mit dem folgenden Morgen im Köthener Spiegelsaal wäre unfair, wenn man die Werdenden gegen die gereiften Sänger-Persönlichkeiten von Sophie Daneman und Ian Bostridge ausspielen wollte. Die Konfrontation der Konzepte hingegen muss erlaubt sein - zumal, wenn sich beide an ähnlichen Entwürfen erproben.
Die Sopranistin und der Tenor fanden ihre Instant-Dramen vorwiegend im Londoner West End des Noël Coward, legten dem British Songbook aber auch Seiten vom Berliner Schiffbauerdamm und vom New Yorker Broadway bei. Und dabei nutzten sie alle Vorteile, die klassische Ausbildung auch für die Populärmusik des 20. Jahrhunderts bietet. Bei Daneman und Bostridge klingt dieses Material nicht wie künstlich Konstruiertes, sondern wie organisch Gewachsenes.
Wenn sich Neues aber aus dem Wissen um das Alte entwickelt, können dank intelligenter Phrasierung, sinnstiftender Artikulation und müheloser stimmlicher Brillanz selbst Herr Macheath oder Fräulein Polly neue Seiten offenbaren. Das ist die Königsklasse der Bettleroper. Denn da wird - auch vom fabelhaften Begleiter Julius Drake - nichts künstlich forciert oder grotesk verzerrt. Da wird einfach perfekt musiziert, mit Stimmen, die als Verstärker lediglich Hirn und Herz brauchen und von denen man auch amerikanischen Weill hören möchte. Eine wunderschöne Gala zum 108. Geburtstagl - und der Regenbogen trägt!