Kurt von Hammerstein Kurt von Hammerstein: «Angst ist keine Weltanschauung»
Halle/MZ. - "Angst ist keine Weltanschauung", sagt der General der Infanterie im Jahr 1931, um seine zögernden Kameraden von einer engeren militärischen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion zu überzeugen. "Ich stehe meinen Mann, wenn's nottut", rechtfertigt er sich 1934 vor der befreundeten Kommunistin Ruth von Mayenburg. "Aber ich drängle mich nicht zum Rad der Geschichte wie ihr!" Nach 1933 trägt der Hitler-Gegner stets einen Revolver in der Manteltasche, denn: "Auf der Flucht erschossen - det jibt's bei mir nicht!"
Lob der Faulheit
Kurt von Hammerstein, als Chef der Heeresleitung am Ende der Weimarer Republik der mächtigste Soldat in Deutschland, war zeitlebens kein Mann, der sich "drängelte". Stärkste Wirkung aus geringstem Aufwand, darum ging es ihm. Einer, der Strippen mit dem kleinen Finger zog. Fleiß galt ihm als eine bedauernswerte Eigenschaft, unentbehrlich nur für den Durchschnittsmenschen. Hammerstein sang lieber das Lob der Faulheit.
Auf die Frage, nach welchen Gesichtspunkten er seine Offiziere auswähle, gab er eine Erklärung, die lesebuchtauglich ist. "Ich unterscheide vier Arten. Es gibt kluge, fleißige, dumme und faule Offiziere. Meist treffen zwei Eigenschaften zusammen. Die einen sind klug und fleißig, die müssen in den Generalstab. Die nächsten sind dumm und faul; sie machen in jeder Armee 90 Prozent aus und sind für Routineaufgaben geeignet. Wer klug ist und gleichzeitig faul, qualifiziert sich für die höchsten Führungsaufgaben, denn er bringt die geistige Klarheit und die Nervenstärke für schwere Entscheidungen mit. Hüten muss man sich vor dem, der dumm und fleißig ist; dem darf man keine Verantwortung übertragen, denn er wird immer nur Unheil anrichten."
Nun, auch Hitler war nicht fleißig; Unheil hat er mehr angerichtet, als die Mitwelt verkraften kann. Aber ohne Zuarbeit des Offiziers Kurt von Hammerstein, um dessen Gunst Hitler von Mitte der 20er Jahre an warb. Hammerstein ließ Hitler an sich abperlen. Rief ihn an, um ihm zu sagen, dass die Reichswehr ihn ablehne. Hindenburg drängte er, sich gegen Hitler zu entscheiden. Es ist ein Wunder, dass Hammerstein das Jahr 1933 überlebte. Aus seiner Verachtung der Nazis machte er kein Geheimnis.
Dass so etwas möglich war, interessiert den 80-jährigen Enzensberger: Wie man Hitlers Herrschaft überstehen konnte, ohne vor ihm zu kapitulieren. Die biografische Recherche unter dem Titel "Kurt von Hammerstein oder Der Eigensinn" ist solcherart der Gang in ein Milieu, das es unter den Historikern schwer hat: nicht kleinbürgerlich, nicht proletarisch, sondern aristokratisch, preußisch, geistig aufgeschlossen, damit weltoffen und weltanschaulich unbefangen. Die drei ältesten Töchter des Antikommunisten Hammerstein zum Beispiel gehen ihre jeweils eigenen Wege. Marie Luise, KPD-Eintritt 1927, wählt den Kommunisten Werner Scholem als Lebensgefährten, 1940 ermordet in Buchenwald. Helga, KPD-Eintritt um 1930, lebt mit Leo Roth zusammen, führender Funktionär im Geheimapparat der Komintern, der 1937 den Partei-"Säuberungen" zum Opfer fällt. Marie Luise und Helga bespitzeln ihren Vater im Dienst der Partei.
Die Tochter Maria Therese heiratet den Pazifisten und Agrarwissenschaftler Joachim Paasche, dessen Vater von Freikorps-Männern ermordet wurde. Alle Lebensgefährten stammen aus jüdischen Familien. Was da wohl anzog: Intellektualität und Widerständigkeit. Gottfried von Hammerstein, Sohn von Maria Therese: "Die aristokratische Selbstsicherheit derer von Hammerstein veranlasste die Mädchen, nie nach einer guten Partie zu trachten." Selbst- und Weltbewusstsein als Medien der Freiheit, darum geht es auch in diesem - schön gestalteten! - Buch, das sich aus biografischen Berichten, Betrachtungen ("Glossen") und "Totengesprächen" zusammensetzt.
Kurt von Hammerstein, der 1934 auf eigenen Wunsch pensioniert wurde und 1943 im Krankenbett starb, lebte stets nach seiner eigenen Uhr. Eigensinn meint ja auch, sich nicht zwangsläufig der Mehrheitsgesellschaft zu unterwerfen. Die Opposition im Heer setzte auf ihn, der von einem Attentat auf Hitler abriet. Die Deutschen müssten den Kelch, den sie gewählt hatten, restlos leeren - anderes helfe nicht.
Verkehrte Politik?
Wohltuend ist die Fairness, die Enzensberger den Zeitgenossen der 20er und 30er Jahre widerfahren lässt: "Wir sollten dankbar sein, daß wir nicht dabeigewesen sind." Er zitiert den Dichter Gottfried Benn: "Leicht gesagt: verkehrte Politik. / Wann verkehrt? Heute? Nach zehn Jahren? Nach einem Jahrhundert?" Überfällig Enzensbergers soziologische "Glosse" zu jenem Teil des Adels, der - wenn auch zahlenmäßig gering - nicht mit den Nazis zog. Erhellend und frei von Überheblichkeit das Referieren der oft tragischen Links-Biografien. Hammersteins Tochter Marie Luise übrigens wurde DDR-Bürgerin, SED-Mitglied und starb in Ostberlin.
Literarisch bleibt das Buch eher unauffällig, über Partien fällt es geradezu harmlos, ja inhaltlich rundgelutscht aus. Nicht immer ist sofort zu erkennen, wer jeweils spricht. Und was trieb eigentlich ein Chef der Heeresleitung? Der Blick auf den Diktaturalltag gerät etwas wundertütig westdeutsch. Flüchtigkeitsfehler: der SED-Renegat Havemann hieß Robert, nicht Rudolf. Der SA-Mann Wessel wurde nicht auf dem Berliner Invaliden-, sondern dem Nicolai-Friedhof beigesetzt. Kleinigkeiten, korrigierbar. Unterm Strich: ein freundliches, friedliches, ein unaufgeregtes Werk. Ein Volksbuch aus der anderen, der zivilen Bibliothek.