Kurt-Masur-Biografie Kurt-Masur-Biografie: Einblicke in das Leben des Dirigenten

Leipzig/dpa. - Bisher hatte es der frühere LeipzigerGewandhauskapellmeister Kurt Masur für «nicht so opportun» erachtet,sein Leben in ein Buch zu fassen. Nach fünf Jahren unzähligerGespräche und aufwendiger Recherche liegt nun die erste Biografieüber einen der bedeutendsten Dirigenten der Welt vor. «Wenn derVerlag nicht so gedrängt hätte, wäre es noch längst nichterschienen», bekennt der Musikdirektor der New Yorker und Chef derLondoner Philharmoniker.
Der Band «Zeiten und Klänge» dokumentiert auf 400 SeitenPersönliches und bisher Unbekanntes aus Arbeit und Privatleben desKünstlers und ist zugleich ein Stück deutscher und internationalerMusik- sowie Zeitgeschichte, sagt der von Masur ausgewählte AutorJohannes Forner. Dabei konnte der emeritierte LeipzigerMusikprofessor es nicht glauben, als Masur ihn im April 1997 bat,seine Biografie zu schreiben.
«Im Laufe der Zeit sind wir immer vertrauter geworden», berichteteForner am Dienstag bei der Vorstellung des Buches in Leipzig. Masur,dessen Chefdramaturg er in dessen Leipziger Zeit war, habe seinInnerstes immer mehr geöffnet. Entstanden sei ein Porträt über einen«politischen Menschen», der «nicht parteipolitisch war, sondern dieAbsicht hatte, dem Gemeinwesen weiterzuhelfen», urteilt Forner. Esumspannt Masurs Leben von der Kindheit in bescheidenen Verhältnissenüber die Zeit an der Front, die ersten Schritte seiner Karriere biszum bevorstehenden Abschied in New York.
Vollkommen ungewohnt gibt Masur kurz vor seinem 75. Geburtstagdarin Einblick in sein Leben in der DDR. «Musik hat mich starkgemacht», bekennt er, dem die Musik nicht in die Wiege gelegt wurde.Der Vater im oberschlesischen Brieg bei Breslau (Wroclaw) träumt eherdavon, dass der am 18. Juli 1927 geborene Junge Ingenieur wird. Masurwächst mit zwei Schwestern auf. «Ich war ein scheuer Junge, dereigentlich vor anderen Menschen gar nicht reden konnte, ohne zustottern», bekennt er. «Das Klavier war der einzige Ort, an dem erträumen konnte.»
Die Entdeckung der Musik hat Masur nach eigener Darstellung ausseiner Scheu vor Menschen befreit, den Ansprüchen der anderen an ihnnicht zu genügen. «Sie hat mich stark gemacht, seelisch gekräftigt,mir Mut gegeben», sagt der Künstler. Mit ihr bezwang Masur in seinerüber 50-jährigen Karriere starke Gegner und aufkommende Resignation.Eine Pianisten- oder Organistenlaufbahn blieb ihm wegen einerSehnenverkürzung des rechten kleinen Fingers verwehrt.
Als Musikstudent jobbte er als Pianist einer Tanzschule oderspielte in Tanzsälen. Das erste Engagement als Solorepetitor amLandestheater Halle brachte ihn um den Studienabschluss. «Ich binvölliger Amateur», erklärt der Künstler. Masur berichtet auch vonseinen Frauen: Der Jugendliebe Brigitte, mit der er von 1948 bis 1970verheiratet war, der Tänzerin Irmgard, die 1971 seine Frau wurde unddie er 1972 bei einem Unfall auf der Autobahn verlor. «EinSchicksalsschlag.» Der Schwerverletzte kann danach keinen Taktstockmehr halten und denkt ans Aufhören. «Nur noch einmal werde ichdirigieren, zum Gedenken an meine Frau - und dann nie wieder»,erinnert er sich.
Aber er lässt sein Orchester nicht im Stich. «Es ist gerade derWiderstand, den er braucht, um daran zu erstarken», erläutert Forner.Er verlange auch im Beruf sich selbst das Allerhöchste ab. «Er istein Dickschädel, der seine Ziele auch gegen Widerstände durchsetzt»,sagt der Musikwissenschaftler. Sein Geheimnis liege darin, dass ernie ein Star sein wollte. Masur sei einer der wenigen Dirigenten, diedie normale anfängliche Gegnerschaft des Orchesters in Vertrauen,Zuneigung und Gefolgschaft umwandeln könne.