Kunstverein Talstraße Halle Kunstverein Talstraße Halle: Die Freiheit im Format der Not
Halle/MZ. - Dass der Galerist Eduard Henning kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einen größeren Posten dieses Abfallprodukts erwerben konnte, sicherte ihm auf Jahre eine Stellung als Mäzen der halleschen Künstler und trug dem Material schließlich seinen lokalen Markennamen ein.
Letzter Gruß an Sitte
Die ersten Bilder auf den handlichen Kartons, die harmonische Proportionen aufwiesen und zudem ohne Grundierung auskamen, datieren vom Jahr 1948. Den letzten Restposten übergab der Galerist am 20. Juli 1962 an Willi Sitte. Am nächsten Tag setzte Henning seinem Leben selbst ein Ende: Der Kampf gegen die DDR-Kunstdoktrin und gegen das Verbot seiner Galerie hatten den unermüdlichen Förderer und Anreger der Künstler in die Verzweiflung getrieben. Was bleibt, ist eine spektakuläre Bilanz aus knapp 15 Jahren Galeristen-Tätigkeit - und der Fundus jener aus der Not genormten Bilder, aus dem die Schau nun schöpfen darf.
Die formale Verabredung, die man heute wohl als Konzeptkunst verkaufen würde, sorgt dabei tatsächlich für gesteigerte Wahrnehmung einer Gemeinschaft von Einzelgängern. Auffallend ist beispielsweise die Vorliebe für Motive aus dem Milieu der Akrobaten und Harlekine, wie sie bei Werner Rataiczyk, Tom Reichelt oder Herbert Kitzel auftauchen. All diesen ursprünglich heiteren Figuren scheinen boshafte oder auch traurige Züge eingeschrieben - eine Ambivalenz, wie sie aus der katastrophalen Generations-Erfahrung der ideologischen Verführbarkeit sowie aus der Selbstwahrnehmung von politisch eingeengten Artisten resultiert.
Eine andere Gemeinsamkeit ist die Beschäftigung mit den Vorbildern der klassischen Moderne sowie mit der internationalen Gegenwart. Hier stehen Willi Sittes "Evangelisten" und "Harpyien" neben Ulrich Knispels "Zwei Frauen", Jochen Seidels "Vegetative Komposition" neben Fritz Rübberts "Hexenritt".
Dies sind Rückgriffe auf ästhetische Tendenzen, die in Deutschland mehr als ein Jahrzehnt nicht stattfinden durften und wenig später erneut unter Generalverdacht gestellt werden sollten. Dass sich dabei die nachgeholte Auseinandersetzung mit dem Kubismus ebenso wie das abstrakte Experiment findet, kann nach der wiederholten Aufbereitung jener Jahre in Halle kaum noch überraschen. Sehenswert aber ist auch hier jener Schulterschluss, der nur durch die im Einsatz als Quer- oder Hochformat variierte Basis entsteht.
Mit leichtem Gepäck
Dass sich die Kartonagen leicht und unauffällig transportieren ließen, dürfte ebenfalls zur großen Menge der erhaltenen Arbeiten beigetragen haben: Als Künstler wie Herbert Bachmann, Kurt Bunge oder Jochen Seidel die DDR Richtung Westen verließen, reisten etliche "Henningkartons" mit ihnen. Die Auswahl von mehr als 50 Bildern, die der Kunstverein für diese Retrospektive weitgehend identisch gerahmt hat, stammt laut Galerist Matthias Rataiczyk daher aus einem größeren Konvolut. Dennoch füllt sie in der Talstraße alle verfügbaren Räume, eine erschöpfende Auswertung des Bestandes unter Berücksichtigung aller verfügbaren Quellen steht noch aus.
Dass dies eine lohnende Aufgabe für das Landeskunstmuseum wäre, steht außer Frage - zumal Eduard Henning bei der Gründung seiner Galerie eng mit dem Moritzburg-Direktor Gerhard Händler zusammengearbeitet und in seinem Verlag sogar den Katalog zur ersten Kunstausstellung der Provinz Sachsen 1946 gedruckt hatte. Konfrontieren könnte man diese ungewöhnlich sinnlichen Zeugnisse für tätige Kunstförderung - die auch Otto Möhwald zuteil wurde - gewiss mit der Privatsammlung des Galeristen, die in der Vergangenheit ausschnittweise in der Talstraße gezeigt wurde. Auch ein passender Termin für diese überfällige Würdigung läge nahe: 2011 jährt sich mit der Schließung der Galerie ein düsteres Kapitel der regionalen Kunstgeschichte zum 50. Mal.
Bis zum 20. Januar (auch während der Feiertage), Di-Fr 14-19, Sa und So 14-17 Uhr