Kunsthaus Apolda Kunsthaus Apolda: Treffen der Jahrhunderte

apolda - Vom Barock trennen uns über 400 Jahre. Es war eine Epoche, in der weite Teile Mitteleuropas durch den 30-jährigen Krieg verheert wurden. Es war aber auch eine Zeit, in der die Künste florierten. In Holland und Flandern, dem niederländischsprachigen Teil des heutigen Belgiens, erlebte im 17. Jahrhundert vor allem die Malerei eine ungeahnte Blüte. Rubens und Rembrandt sind deren bekannteste Vertreter.
Schon wegen des großen zeitlichen Abstands müsse die Kunst der Gegenwart der barocken diametral entgegenstehen, mag man denken. „Bittersüße Zeiten“, die aktuelle Ausstellung im Kunsthaus Apolda, kann jedoch den Gegenbeweis antreten. Bei allen stilistischen und moralischen Unterschieden sind die Themen, die die Maler des Barock umtrieben und die Künstler der Gegenwart bewegen, dieselben: Liebe und Lust, die Leichtigkeit der Jugend und die Last des Alters sowie das größte Faszinosum von allen: der Tod.
Die Exponate stammen aus der Kollektion von Thomas Rusche (Oelde/Berlin). Der Kunstfreund hat die Sammlung von seinem Vater – der in den 50er Jahren begann, holländische Malerei des 17. Jahrhunderts zusammenzutragen – übernommen und kontinuierlich erweitert. Rusche ist heute auf das Sammeln von Werken des holländischen und flämischen Barock und der Gegenwartskunst spezialisiert. 2 000 Arbeiten aus beiden Epochen sollen inzwischen zu der Sammlung gehören, die damit die größte private ihrer Art wäre. In Apolda ist eine kleine Auswahl davon zu sehen: 30 Gemälde aus dem 17. Jahrhundert werden 90 Arbeiten zeitgenössischer Künstler gegenübergestellt.
Selbstbewusster Kommentar
Dieses Kompositionsprinzip ermöglicht einen „dialogischen Blick“, so die Kuratoren Andrea Fromm und Tom Beege. Bereits im ersten Raum wird die überzeitliche Sichtweise wirkungsvoll inszeniert: Im Zentrum steht hier die 15-teilige, schwarz-weiße Collage „The Splendour of Myself“ (2007) der polnischen Künstlerin Zofia Kulik (geb. 1947). Auf dieser thront sie als Königin in barocker Pracht. Ihre linke Hand liegt schützend über einem weiteren Abbild ihrer selbst: Ein Auge zukneifend, hält sie Mutter und Mann im Arm, was ein ebenso selbstironischer wie selbstbewusster Kommentar einer Frau des 21. Jahrhunderts ist.
Eingerahmt wird die Collage von zwei Bildnissen aristokratischer Damen, die Cornelis von der Voort (1620/24) und Bernart Vollenhove (1670) geschaffen haben. In jener strengen Würde, die ihrem Stand zukommt, blicken beide Frauen den Betrachter an.
Zwei Bilder, die signalisieren, dass sich das bürgerliche Individuum im 17. Jahrhundert emanzipierte: Denn solche Porträts anfertigen zu lassen, war in früherer Zeit nur Herrschern vorbehalten. Im Barock zählte freilich nicht mehr allein der Geburts-, sondern auch der Geldadel. Wer Reichtum anhäufte, der konnte jetzt auch ein König sein.
So mochte auch jenes namenlose Ehepaar gedacht haben, das Pieter von Anraedt 1664 konterfeite. Auf der Eheleute Wohlstand weist nicht nur die vornehme Kleidung hin, sondern auch der Blick in die Ferne, der eine Schiffswerft erkennen lässt. Dass das Unternehmerpaar auf zwei Werke von Jonathan Meese (geb. 1970) schauen muss, ist bedauerlich, weil die „Diktatur der Kunst“, die der Skandalmaler bekanntlich ausgerufen hat, allein keine bedeutenden Werke schafft.
Für Meeses „Fräulein Schnullifuz’ Schneckensammlung“ und „Love Dein Ding“ (beide 2008) hat Rusche hoffentlich nicht zu viel bezahlt, denn man möchte die Arbeiten des selbst ernannten Kunst-Diktators nicht geschenkt haben. Augenscheinlich sind Bild-Inhalte für Meese nicht halb so wichtig wie seine Initialen, die er gern mit einem Eisernen Kreuz verziert.
Zerknirschung und Ausschweifung
Kurz ist das Leben, lang ist die Kunst, wusste Hippokrates. Auch den Menschen im Barock war das nur zu bewusst. Die Epoche war eine Zeit religiöser Zerknirschung, aber auch der Ausschweifung.
Das Vanitas-, sprich: Vergänglichkeits-Motiv bedienen Stillleben, in denen Totenköpfe im Zentrum stehen. So etwa auf Cornelis Norbertus Gysbrechts „Vanitas-Stillleben“ (um 1662), aber auch auf dem Gemälde „Olivenesser“ (2011) von Jan Dörre (geb. 1967), wo ein blanker Schädel, vom Unterkiefer getrennt, neben einer Untertasse mit grünen Oliven liegt.
Erotische Eskapaden hat Johannes Lingelbach auf dem Gemälde „Soldaten im Lager“ (um 1657-65) festgehalten, wo Söldner mit Dirnen schäkern. Die Gegenwartskunst ist da drastischer: Das Ölbild „Pitty Star“ (2010) von Martin Galle (geb. 1981) zeigt eine Gruppensex-Szene, die nur deshalb jugendfrei ist, weil über den anzüglichen Stellen Pittiplatsch gemalt ist: Porno trifft auf Kinderfernsehen. So weit konnte man es, um im Bild zu bleiben, im Barock nicht treiben.
„Kinderzeiten“ damals und heute ist ebenfalls ein zentrales Thema der Apoldaer Schau. Hier etwa das Ölbild „Mütterliche Kinderfürsorge“ (um 1634) von Dirck Hals, dem Bruder des Malers Frans Hals, auf dem eine Mutter den Kopf ihrer vor der Zeit gealterten kleinen Tochter laust. Dort zum Beispiel „Lonestar I“ (2008) von Justine Otto (geb. 1974), auf dem ein erschrocken dreinblickendes Mädchen seine Hände hilflos dem Betrachter entgegenstreckt. Auf einigen Fingern sind künstliche Nägel geklebt, was ebenfalls den Eindruck erweckt, ein altes Kind vor sich haben.
Alles in allem ist „Bittersüße Zeiten“ ein spannendes Stelldichein der Jahrhunderte. (mz)
„Bittersüße Zeiten“ bis 15. März, Di-So,10-18 Uhr im Kunsthaus Apolda, Bahnhofstraße 42
