1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Kunst: Kunst: Caspar David Friedrich litt an Depressionen

Kunst Kunst: Caspar David Friedrich litt an Depressionen

Von Martina Rathke 30.08.2004, 07:33

Greifswald/dpa. - Verlassene Kirchenruinen in einsamenLandschaften, erhabene Kreidefelsen auf der Insel Rügen - die Bilderdes Malers Caspar David Friedrich (1774-1840) haben die deutscheRomantik maßgeblich geprägt. Wie neueste biografische Forschungen nunergeben, litt der Maler - dessen 230. Geburtstag am 5. September mitder Eröffnung einer Dauerausstellung in seinem GreifswalderGeburtshaus begangen wird - offensichtlich zwei Drittel seines Lebensunter schweren, sich periodisch wiederholenden Depressionen. DerKrankheitsverlauf mit wiederkehrenden Phasen und einem Suizidversuchsei klassisch für eine mittel- bis hochgradige unipolare Depression,sagt der Psychiater Carsten Spitzer von der Universität Greifswald.

Spitzer und die Kunsthistorikerin Birgit Dahlenburg habenhistorische Quellen - Selbstzeugnisse, Briefe sowie Aufzeichnungenvon Familienangehörigen, seines Freundes und Arztes Carl Gustav Carus- und das Werk Friedrichs untersucht und in Beziehung zueinandergesetzt haben. In der umfangreichen kunsthistorischen Literatur wirdFriedrichs Schwermut und Melancholie oft als typisch für dieRomantikergeneration erwähnt. Eine krankhafte Depression wird bishernicht beschrieben, «offenbar, weil sich bisher nie Mediziner undKunsthistoriker zusammengesetzt haben», mutmaßt Dahlenburg.

Erste Indizien für eine Depression finden die Forscher im 25.Lebensjahr des Malers. 1799 berichtet Friedrich in einem Brief anseinen Studienfreund Lund von einer «schrecklichen Mattigkeit...,dass ich ungelogen 4 Tage und Nächte in einem fort geschlafen habe».Dieser ersten Phase mit den typischen Symptomen der Erschöpfung unddes Rückzugs gingen traumatische Kindheitserlebnisse voraus, die nachAnsicht des Psychiaters eine Depression begünstigt haben: FriedrichsMutter stirbt, als er sieben ist. Als 12-Jähriger muss der Sohn einesSeifensieders erleben, wie sein Lieblingsbruder bei dem Versuch ihnzu retten, im zugefrorenen Bodden einbricht und ertrinkt.

Zudem entspreche Friedrich dem Typus melancholicus - aufOrdentlichkeit konzentriert, die sich in seinem Schriftbild undseiner akribischen Ateliereinrichtung zeige, zurückgezogen lebend,mit einem überschaubaren persönlichen Bekanntenkreis,selbstzweiflerisch trotz Anerkennung in Künstlerkreisen und mit einemfragilen Selbstbewusstsein, sagt Spitzer.

Dem ersten Schub folgt der Kunstwissenschaftlerin BirgitDahlenburg zufolge 1804 ein Suizidversuch. Die Friedrich-Zeichnung«Mein Begräbnis» (1804/verschollen) ließ damals jeden Betrachtererschaudern. Neben einem frisch ausgehobenen Grab liegt ein Kreuz mitseinem Namenszug - so wird das Bild im zeitgenössischen «Journal desLuxus und der Moden» (Heft 19/1804) beschrieben. Seit seinemSelbstmordversuch trägt Friedrich einen Vollbart, vermutlich umNarben am Hals zu verbergen.

Insgesamt fünf depressive Phasen «diagnostizieren» dieWissenschaftler bis zu Friedrichs Lebensende im Jahr 1840 -unterbrochen von Zeiten des Erfolgs und der Anerkennung. Nebenschriftlichen Zeugnissen wiesen Veränderungen in Motivwahl undkünstlerischen Techniken auf die Krankheit, erklärt die Friedrich-Expertin. «Auffällig ist, dass Friedrich in den tiefen depressivenPhasen nicht malt, sondern nur reduzierte Techniken nutzt, wieAquarell, Sepia oder Bleistift.» Zugleich häuften sich in diesenPhasen die Todessymbole: Geier, Gräber, Grabeskreuze, Eulen,abgestorbene Bäume. Symptomatisch dafür sei die Zeichnung «Skelettein der Tropfsteinhöhle», die 1826 in der letzten depressiven Phasevor seinem Schlaganfall im Jahr 1835 entsteht.

Würde Friedrich heute leben, läge er nach Ansicht von Spitzer aufder Couch eines Therapeuten, würde vermutlich Antidepressivaschlucken und wäre möglicherweise sogar in stationärer Behandlung.Das hätte er sicher abgelehnt, hält Dahlenburg dagegen. «Friedrichwollte seine Depressionen durchleiden. Hilfe seines Freundes Caruslehnte er rigoros ab.»

Die Kunstgeschichte werde man wegen der neuen Erkenntnisse nichtumschreiben müssen, sagt Dahlenburg. Denn die Romantik sei nach demScheitern der Ideale der französischen Revolution «Zeitgeist», einbreites gesellschaftliches Phänomen gewesen. Den großen Themen dieserEpoche, Vergänglichkeit und Tod, hätte sich Friedrich auch ohne derErkrankung angenommen. Friedrich sei aber der Romantiker, der mit dergrößten Konsequenz die Vereinsamung des Menschen dargestellt habe.Die Depressionen als Erklärung für diese Radikalität heranzuziehen,sei legitim, meint Dahlenburg.