Kulturhauptstadt Wroc?aw Kulturhauptstadt Wroc?aw : Ein erfolgreiches Jahr

WrocŁaw - Wie weit ist es von Warschau nach Wrocław, das vielen immer noch als Breslau geläufig ist? Die Frage mag sonderbar anmuten, am Wochenende konnte man aber schon einmal darüber nachdenken. In Luftlinie gemessen sind es 301 Kilometer, ganze sechs mehr als von Berlin in die niederschlesische Metropole.
Demonstrationen und Feiern in Polen
Die hat in diesem Jahr als Europas Kulturhauptstadt von sich reden gemacht, zuletzt mit der glanzvollen Verleihung des Europäischen Filmpreises und nun mit einer rauschenden Abschluss-Fete in der Jahrhunderthalle. Diese war, von dem deutschen Architekten Max Berg entworfen, 1913 als Zeichen bürgerlicher und wirtschaftlicher Stärke am Rande Breslaus eingeweiht worden.
Und während also am Samstag die europäische Kulturstadt Wrocław ausgelassen und von Touristen überlaufen noch einmal ihre wiedergewonnene Weltoffenheit feierte, demonstrierten in der polnischen Hauptstadt Warschau Tausende gegen weitere Einschränkungen von Demokratie und Freiheit, wie sie die regierende Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) in den Augen ihrer Kritiker betreibt.
Böses Erwachen nach Wahlsieg von Kaczynski
Der Wahlsieg der Rechtsnationalen unter Führung von Jaroslaw Kaczynski ist zu einer schweren Hypothek für das Bild des freiheitsliebenden Polen geworden, wie es viele von uns, gerade auch viele der gelernten Ostdeutschen, im Herzen tragen. Allerdings, so erzählen es Polen in aller Vorsicht, weil sie trotz alledem nichts auf ihre geliebte Heimat kommen lassen wollen, reiben sich inzwischen auch manche von jenen die Augen, die der Kaczynski-Partei in der Hoffnung auf mehr Transparenz in der Politik und ein besseres Leben ihre Stimme gegeben haben.
Wrocław aber hat sich dennoch die Chance nicht nehmen lassen und gezeigt, was für eine schöne, geschichtsreiche Stadt es ist - und wie sehr es an seine Zukunft glaubt. Die ist freilich einstweilen vor allem mit den Namen großer westlicher Konzerne und namentlich Banken verbunden, die gläserne Paläste errichtet haben. Dort arbeiten nun Polen im Namen großer Schweizer Marken für kleine einheimische Löhne, die Globalisierung marschiert. Und natürlich haben die Menschen auf der Straße dennoch einen Vorteil davon: Zwar wächst, wo es Profit gibt, auch Profit nach. Aber für die Arbeit gilt diese Formel, einstweilen jedenfalls, auch. Das spürt man - wie man freilich auch die Kosten nicht übersehen kann, die zumindest in der Innenstadt von Wrocław in einigen Bereichen denen in Deutschland nicht wesentlich nachstehen - bei einem Durchschnittseinkommen der Polen, das umgerechnet rund 900 Euro betragen soll.
Breslau bekennt sich zur Geschichte
Natürlich hat das Kulturstadtjahr die Preise etwa in den Cafés mit Blick auf die zahlungskräftigen Gäste angeheizt, noch Ende Januar sind die Forderungen etwas moderater gewesen und werden im neuen Jahr vielleicht auch wieder ein wenig bescheidener ausfallen. Für viele Bürger der Stadt und ihres Umlandes dürfte der Familienbesuch der historischen City gleichwohl ebenso unerschwinglich sein wie der auf dem zauberhaften Weihnachtsmarkt.
Immerhin - 2016 ist zweifellos ein Erfolg für Wrocław gewesen, das einmal Breslau hieß und die zahlreichen Zeugnisse deutscher Kultur auch keineswegs leugnet. Eine Stadt, die dem 1906 dort geborenen Theologen und Widerständler Dietrich Bonhoeffer ein Denkmal errichtet, bekennt sich eindrücklich zu ihrer bedeutenden Geschichte, die in den letzten Kriegstagen 1945 in Schutt und Asche zu versinken drohte. Und Unzählige, Deutsche wie Russen, metzelten einander im grauenhaften Häuserkampf nieder.
Breslau: Lebendige Schönheit auf geschichtsträchtigen Boden
Aus Breslau wurde Wrocław, ein beispielloser Bevölkerungsaustausch vollzog sich: An Stelle der geflohenen und verjagten Deutschen siedelten hier nun Frauen und Männer aus dem Osten Polens, etwa aus Lemberg, dem heute zur Ukraine gehörenden Lwiw - Vertriebene auch sie. Damit ist Wrocław zum Symbol europäischer Verwerfungen und Schmerzen geworden, zugleich hat die Stadt ihre Stärke im befreienden Bekenntnis zur Diskontinuität gefunden.
Wer heute durch Wrocław geht, wird eine lebendige Schönheit antreffen: Allenthalben erinnern im Stadtbild die kunstvollen, witzigigen Zwerge, einst Figuren des antikommunistischen Widerstands, an den Humor der Einwohnerschaft, während der Dom und die vielen anderen Kirchen keinen Zweifel an der etablierten Hausmacht der katholischen Kirche lassen. Im schön restaurierten preußischen Königsschloss hingegen wird die Stadtgeschichte verhandelt und, noch bis in den Januar, eine großartige Ausstellung mit Werken deutscher Romantik gezeigt - als Leihgabe der Nationalgalerie in Berlin.
Jahrhunderthalle Breslau blieb 1945 unzerstört
Über allem aber strahlt die Jahrhunderthalle Max Bergs. Wie durch ein Wunder blieb das Bauwerk, vielleicht das vollkommenste der frühen Moderne überhaupt, 1945 unzerstört. Ein Zeichen für Deutsche, Polen und alle übrigen Europäer: Aus Beton müssen nicht zwingend Mauern entstehen. Man kann ihn, mit Fantasie und Leidenschaft, durchaus auch zum Schweben bringen.
(mz)


