Kultband Kultband: «Elsterglanz» aus dem Mansfelder Land
Halle/MZ. - "Also stehe ich da so an meinem Baum", erzählt er, "und auf einmal höre ich mich aus dem Auto von ein paar Jungs singen, die nebenan gehalten hatten." Wittek war schwer erstaunt. "Die CD hatten wir ja nur ein paar Freunden geschenkt - und von denen war keiner in der Nähe."
Aus der leisen Ahnung jener Nacht wurde danach schnell die Erkenntnis, dass etwas Seltsames passiert war. Leute aus Thüringen riefen an und fragten, wo sie den Gollum-Klingelton herbekommen könnten. Gollum-Klingelton? "Ich wusste nicht, wovon die reden", beschreibt Wittek. Als dann auch noch Kneiper und Konzertveranstalter wissen wollten, wie es denn mit einem Live-Auftritt aussähe, war klar: Das Spaßprojekt Elsterglanz, von Wittek und seinem Freund Gilbert Rödiger in einer Bierlaune gegründet, war unbemerkt von seinen Erfindern berühmt geworden.
Niemand ist darüber verwunderter als die beiden Männer, die ihre bürgerlichen Nachnamen vor sieben Jahren ablegten, um als Elsterglanz absurde Sketche auf selbstgebrannten CDs zu Weihnachten zu verschenken. "Wir haben im Freundeskreis alle einen sehr speziellen Humor", meint Gilbert Rödiger, der nur Gilli genannt werden will, "von daher konnte das gar nicht sein, dass da andere auch drüber lachen." Zumal Elsterglanz die mansfeldische Mundart pflegen: Hier wird gewummert und geflakt, kriegen heißt "kreien", ziehen ist "trekken", es wimmelt von "Brummern" und "Hässlonden" und aus allen Dialogen steigt der Staub der Straßen zwischen Eisleben und Hettstedt. Als er sich den ersten Sketch, den Gilli und er zusammengebastelt hatten, nach getaner Arbeit anhörte, erinnert sich Sven "habe ich mich schlapp gelacht und meine Freundin saß mit versteinerter Mine daneben."
Trotzdem. Die Mini-Hörspiele und verballhornten Welthits aus der Elsterglanz-Schmiede verbreiteten sich wie ein Virus. "Die Leute haben das getauscht und ins Internet gestellt, ohne dass wir es wussten", sagt Sven, 36 Jahre alt, von Beruf Physiotherapeut und in Elsterglanz-Klassikern wie "Der scharlachrote Buchstabensuppe" und "Der Staat gegen Godzilla" der Typ, dem immer mal ein empörtes "deine Mutter!" entfährt.
Gilli, 32, gelernter Klempner und wie sein Partner, der hundert Meter entfernt in der Nachbarschaft aufwuchs, schon als Teenager in seiner ersten Band, verkörpert nicht weniger bizarre Charaktere. Einer erzählt mit rostigem Organ vom "heiligen Kran, mit dem sie die MIR in die Umlaufbahn gehoben haben", ein anderer weiß, dass es nicht nur ein Lenin-Denkmal in Eisleben gab, sondern gleich drei. "Eins aus Kernseife, eins aus Kaiserslautern und eins aus einer jaaahnz speziellen Jummimischung - und das war Lenins Einschulungsgeschenk".
Es sind kleine, liebvolle Porträts der Menschen von Sittichenbach, Lüttchendorf und Schmalzerode, die Gilli und Sven mit dem Mikrophon malen. Am Anfang steht immer eine spontane Idee, bis zum Ende gibt es kein Manuskript. Vier Mann am Biertisch, die nichts genau, aber alles besser wissen, ein Notfall auf dem Disko-Klo oder die letzte Sitzung beim Psychiater - aus abgedroschenen Phrasen, dem leicht genervten Dialekt der Region und der Kombination von alltäglichen Szenen und abstrusen Handlungsvarianten entstehen Miniaturen, die vor Komik beinahe bersten.
"Das ist wie Gold schürfen", beschreibt Gilli, "manchmal passiert stundenlang nichts, manchmal läuft es wie von selbst." Warum auch in Leipzig, Halle und Magdeburg über "Budenlouis" und "Arschkrampen" gelacht wird, ist den beiden Herstellern von Hymnen über die Gefangenschaft in einem Reifenstapel und Sketchskizzen zum Thema "arbeitslos in Afghanistan" selbst ein Rätsel. Sicher aber ist: Egal ob Lied oder gesprochener Film - echten Elsterglanz bekommen die Dinge nur, "wenn sie woanders landen als man selbst am Anfang denkt" (Sven). "Keine Mathematik, geht aber trotzdem auf", sagt Gilli, der wie sein Kollege nichts anfangen kann mit "Witzen, die nur aus einer Pointe bestehen." Im Reich der beiden Hobby-Humoristen gilt das eiserne Gesetz, dass die ganze Geschichte lustig sein muss, nicht nur ihr Schluss. Wie ihr Bandname am besten, dessen tiefere Bedeutung im Wort selbst liegt - schön einfach, schön blöd und mit ein bisschen Ostwürze drin. "Wenn wir nicht selber nach hundert Mal hören noch lachen können, schmeißen wir es weg."
40, 50 Stunden Material sind diesen Weg bisher gegangen; auch die neue, inzwischen vierte CD, die zu Weihnachten fertig sein sollte, hat deshalb schon wieder ein bisschen Verspätung. Allerdings stört das hier keinen, denn im Hintergrund drängen weder Plattenfirma noch Management, kein Verlag droht mit Vertragsstrafen und kein Werbepartner fordert Termintreue. Gilli und Sven haben bis heute allen Verlockungen widerstanden, aus dem Hobby einen Job zu machen und hauptamtlich ins Hamsterrad des Humors zu klettern. An ihren Stücken basteln sie im Heimstudio, die Cover zimmern sie selbst, den Vertrieb übernehmen die Kumpels, deren Kumpels und deren Kumpels. "Klar haben wir auch mal dagesessen und gesagt: Wollen wir zu Stefan Raab gehen und berühmt werden?", erzählt Sven Wittek. Und anders als letztes Jahr, als sie beschlossen, ein paarmal live aufzutreten, lautete die Antwort nein. Er wolle lieber "weiter früh um sechs aufstehen", als sich den Spaß am Spaß vom Kommerz verderben zu lassen oder das hübsche Produkt durch Professionalität zu ermorden, sagt Sven. "Sich hochschießen lassen, einen Plattenvertrag unterschreiben, eine DVD machen und zu Weihnachten ein Buch hinterherschieben", nickt Gilli, könne jeder: "Wir würden so alles kaputtmachen."
Als zielgruppenorientierte Dienstleistung, da sind die beiden einig, funktioniert Elsterglanz-Humor nicht. "Sobald wir anfangen würden, darüber nachzugrübeln, was das Publikum witzig finden könnte, ist es vorbei", glaubt Wittek.
Stattdessen werden sie also auch das neue Werk einfach wieder verschenken. Und gespannt warten, "ob das, was wir für lustig halten, noch andere zum Lachen bringt." Bisher sieht es ganz so aus: Einen mit hohen Dosen Elsterglanz absurd aufpolierten Ausschnitt aus dem Ballerfilm "Rambo" schauten sich beim Videoportal Youtube in nur zwei Monaten fast 100 000 Leute an. Und die ersten Termine der für das Frühjahr angesetzten Latte-am-Biez-Tour sind auch schon wieder ausverkauft.
Es sieht nach noch mehr Zusatzterminen als dem einen bisher feststehenden am 15. Mai im Steintor Halle aus. Und danach, als könnten Gilli Rödiger und Sven Wittek sieben Jahre nach der Saat die Ernte einfahren. Täuscht aber, denn für die Konzerteinnahmen gibt es schon einen Verwendungszweck: Gilli und Sven werden sich eine Kamera kaufen. Und dann eine Elsterglanz-Fernsehserie drehen, die blöder sein wird als Rambo und der Reifenstapel und die Mutter von James Bond zusammen. Und noch lustiger sowieso.