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Kris Kristofferson Kris Kristofferson: «Ich singe Lieder über mein Land»

04.11.2012, 17:11
Kris Kristofferson zählt neben Johnny Cash, Willie Nelson oder Waylon Jennings zu den Ikonen der US-Country-Szene.
Kris Kristofferson zählt neben Johnny Cash, Willie Nelson oder Waylon Jennings zu den Ikonen der US-Country-Szene. DPA Lizenz

Halle (Saale)/MZ. - Mit Kris Kristofferson sprachen Nadja Erb und Martin Scholz.

Mr. Kristofferson, Sie sitzen gerade in Ihrem Haus auf Hawaii, während wir miteinander telefonieren. Was sehen Sie, wenn Sie aus dem Fenster schauen?

Kristofferson: Mein Haus steht an einem Berghang, genauer: an einem erloschenen Vulkan. Wenn ich jetzt aus dem Fenster blicke, sehe ich vor mir den Ozean und sonst nichts als flachen, leeren Horizont, der sich vor mir ausbreitet. Und keine Nachbarn. Dieser Ort ist für mich ein Stück vom Himmel.

Haben Sie den Film "The Descendants" gesehen, mit George Clooney in der Rolle eines gestressten, allein erziehendem Familienvaters auf Hawaii?

Kristofferson: Bisher noch nicht. Ich habe lediglich ein paar Meldungen gelesen, als sie den Film auf Hawaii drehten. Ich war zu dem Zeitpunkt auch gerade hier.

Es gibt darin diese Szene, in der Clooney klagt: "Die Leute denken immer, Hawaii sei das Paradies. Dabei haben wir dieselben Probleme wie andere Leute." Können Sie das nachvollziehen?

Kristofferson: Das kann ich, ehrlich gesagt, überhaupt nicht nachvollziehen. Ich lebe jetzt seit mehr als 30 Jahren mit meiner Familie hier. Und ich fühle mich wie im Paradies. So ziemlich jeden Tag.

In dem Titelsong Ihrer neuen CD "Feeling mortal" klingen Sie aber so, als würden Sie beim Blick auf den Horizont doch mal düsteren Gedanken nachhängen.

Natürlich. Himmel, ich bin jetzt 76 Jahre alt. Ich hätte nie gedacht, dass ich so alt werde.

Die Zeilen erinnern an einen Song aus dem Spätwerk Ihres Freundes und Kollegen Bob Dylan, "It´s not dark yet, but it´s getting there"…

Ja, ich erinnere mich daran. Ich erinnere mich allerdings auch daran, dass Bob schon in jüngeren Jahren ähnliche Metaphern gebrauchte. Da gab es beispielsweise diesen Song, den er für den Western "Pat Garrett jagt Billy The Kid" geschrieben hatte, in dem wir beide mitspielten. "It´s getting dark, too dark to see…"

Aus "Knocking on Heaven´s Door", der auf dem Soundtrack zu hören ist.

Kristofferson: Ja, ich weiß noch, wie wir in Mexiko drehten, das muss 1972 gewesen sein. Als wir uns an einem Abend mit dem Regisseur Sam Peckinpah die Aufnahmen vom Vortag ansahen, bemerkten wir schnell, dass irgendetwas mit der Belichtung nicht geklappt hatte. Jedenfalls wurde die Szene immer dunkler. Irgendwer stirbt in der Szene, ich weiß aber nicht mehr genau, wer. Der Regisseur war ziemlich betrunken, als er sich das ansah. Und irgendwann stand er auf, pisste aus Wut auf den Bildschirm. Bob sah mich entsetzt und sehr verstört an, denn es waren die ersten Aufnahmen, in denen er zu sehen war.

Und Dylan dachte, der Regisseur pinkelt, weil er mit seiner Darstellung nicht zufrieden war?

Sowas in der Art. Er sah mich jedenfalls völlig entgeistert an, als wollte er sagen: "Was in Gottes Namen tut er da? " Egal, jedenfalls hat ihn genau diese Szene zu diesen Zeilen inspiriert - "It"s getting dark, too dark to see".

Sie haben mehr als 30 Alben aufgenommen und darüber hinaus in über 80 Filmen mitgewirkt. Wenn Sie auf diese duale Karriere zurückblicken, was war Ihnen wichtiger, die Schauspielerei oder die Musik?

Kristofferson: Die Musik war meinem Herzen, meiner Seele immer näher. Wenn ich mich entscheiden müsste, würde ich immer der Musik den Vorzug geben. Ich möchte gerne Musik machen, bis ich tot umfalle.

Als Sie mit Dylan in "Pat Garrett" vor der Kamera standen, waren Sie beide Mitte 30. Wenn Dylan oder Sie heute von der zunehmenden Düsternis singen, hat das schon eine andere Relevanz, oder?

Sicher. Jedes Album, das ich gemacht habe, war immer auch eine Reflexion dessen, was zu der Zeit um mich herum und mit mir passierte. Und das mache ich immer noch so. Das Alter ist ein Thema, klar. Nur wollen die Songs heute nicht mehr so schnell geschrieben werden wie früher. Es geht alles etwas langsamer.

"Feeling Mortal" ist das dritte Album in Folge, bei dem Sie sich in die Hände des legendären Produzenten Don Was begeben haben. Hat er für Sie eine Bedeutung wie der Produzent Rick Rubin für Johnny Cash?

Definitiv. Dan hat ja viele gute und ganz unterschiedliche Musiker produziert, die Rolling Stones, Iggy Pop oder die B 52´s. Ich bin sehr glücklich, dass er auf mich zukam und fragte, ob ich mit ihm arbeiten wolle.

Sie haben einmal gesagt: Je älter ich werde, desto weniger konservativ werde ich.

Kristofferson: Das stimmt.

Die meisten würden von sich wohl eher das Gegenteil behaupten.

Kristofferson: Sehen Sie, wenn ich in meinem Leben auf etwas stolz bin, dann darauf, dass ich immer wieder in andere, unterschiedliche Welten aufgebrochen bin. Als ich beispielsweise in den 80ern Jahren mehrfach nach El Salvador oder nach Nicaragua gereist bin und mich dort für die Sandinisten einsetzte, habe ich zum ersten Mal mitbekommen, was die US-Regierung in Mittelamerika angerichtet hat. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Wir haben mitgeholfen, dass Schulen angegriffen und unschuldige Menschen getötet wurden. Die Amerikaner haben sich nicht so verhalten, wie sich menschliche Wesen verhalten sollten.

Sie haben Ihre Wut darüber in mehreren Songs herausgelassen: "They´re killing babies in the name of freedom" sangen Sie in "Don´t let the bastards get you down".

Ja. Man muss dazu wissen, dass ich ja keine naive Sicht auf solche Dinge hatte: Ich stamme aus einer Militärfamilie, und war, bevor ich nach Nicaragua oder auch El Salvador reiste, selber lange Jahre beim Militär. Es hätte nicht viel gefehlt und ich wäre tatsächlich nach Vietnam gegangen. Glück gehabt. Was ich damit sagen will: In jenen jungen Jahren hatte ich noch so ziemlich alles akzeptiert, was mein Land im Rest der Welt gemacht hat. Nicaragua war für mich so eine Art Weckruf. Es war schrecklich, als ich sah, was vor sich ging in Mittelamerika.

Mitte der 80er haben Sie mehrere politische Alben veröffentlicht, auf denen Sie nicht nur die US-Außenpolitik kritisierten, sondern sich auch mit der Ermordung Martin Luther Kings auseinandersetzten. Das sind nicht unbedingt Themen, die in der US-Country-Szene angesagt waren.

Nein, das kann man wirklich nicht behaupten. Ich bekam auch prompt die Quittung dafür: Als ich diese Songs schrieb, wurde ich von vielen US-Radiostationen lange Zeit nicht mehr gespielt. Denn die Countrymusik ist definitiv viel konservativer als ich es je war.

Sie waren ein singender Vaterlandsverräter?

Kristofferson: So in der Art. Viele Leute sehen mich heute noch so. Aber ich bereue nichts davon. Ich sah es als meine Pflicht an, darüber zu schreiben, auch wenn das für viele unangenehme Wahrheiten waren. Was meine Musik-Karriere betrifft, haben mir diese politischen Songs nicht gut getan. Zum Glück hatte ich parallel dazu ja noch mein anderes Standbein, die Schauspielerei.

Sehen Sie sich als politischen Songwriter?

Kristofferson: Nur in dem Sinne, dass meine Lieder weniger Countrysongs im traditionellen Sinne sind, sondern eben "Songs about my country", also Lieder über mein Land.

Reden wir über die gegenwärtige politische Situation in Ihrer Heimat: Wissen Sie, wo Sie am 6. November, dem Tag der Präsidentschaftswahl, sein werden?

Kristofferson: An dem Tag habe ich einen Auftritt in Norwegen. Aber ich werde bis dahin schon gewählt haben. Und ich mache auch kein Geheimnis daraus, wen ich unterstütze: Ich werde wieder für Obama stimmen.

In Ihrer Zeit als aktiver Wähler haben Sie die stattliche Zahl von elf US-Präsidenten erlebt. Welcher hat Sie am meisten beeindruckt?

Kristofferson: Kennedy. Darüber muss ich nicht lange nachdenken. Ich bin bis heute nicht darüber hinweggekommen, dass sie ihn umgebracht haben. Kennedy hat von allen die größten Veränderungen vorangebracht. Und er hat dafür den größten Preis bezahlt.

Vor vier Jahren haben Sie Obama mit Kennedy verglichen. Heute äußern sich selbst viele seiner Befürworter sehr skeptisch…

Kristofferson: Also mich hat Obama nicht enttäuscht - auch wenn das andere noch so oft betonen. Nun bin ich gewiss kein Finanzexperte, der Ihnen die Gründe für die desolate Weltwirtschaftslage erklären könnte. Aber dafür kann man nicht Obama die Schuld geben. Das war und ist ein weltweites Problem, das ihm sein Vorgänger Bush weitergereicht hatte.

Was macht Sie so sicher, dass Obama die Wahl gewinnen wird?

Kristofferson: Ich kann einfach nicht glauben, dass irgendjemand, der auch nur einen Funken Verstand besitzt, für Romney stimmen wird. Er und die Republikaner stehen nicht für die Dinge, an die ich glaube.

Haben Sie je daran gedacht, noch einmal ernsthaft mit dem Schreiben anzufangen?

Kristofferson: Ja. Ich habe gerade angefangen, eine Art Tagebuch von mir durchzusehen. Es ist eine Art Überblick über mein Leben und den kreativen Prozess. Mal sehen, was ich daraus mache.

In den frühen 60er Jahren waren Sie in Westdeutschland stationiert.

Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Kristofferson: Oh, ich habe es geliebt. Im Grunde aus einem einzigen Grund: Ich war in den drei Jahren dort fast jeden Tag in der Luft, bin ununterbrochen Helikopter geflogen. Denn der General wollte mit keinem anderen fliegen. Also musste ich immer ran. Nebenbei habe ich damals auch Musik gemacht. Von Bad Kreuznach sind wir dann oft nach Frankfurt gefahren. Am liebsten war mir das Fliegen.

Vermissen Sie das Fliegen?

Kristofferson: Nicht wirklich. Als ich das letzte Mal beruflich flog, arbeitete ich im Golf von Mexiko, auf einer Öl-Plattform. Ich flog verschiedene Black Hawks. Aber ich vermisse das alles nicht. Es war ein Job, einer, der mir sehr gefallen hat. Aber es war keine echte Leidenschaft.

Lassen Sie uns einen Kristofferson-Mythos hinterfragen: Stimmt es, dass Sie im Garten von Johnny Cash gelandet sind, um ihm eine Kassette mit eigenen Songs zu überreichen?

Kristofferson: Das stimmt. Aber um diese wahre Begebenheit haben sich im Laufe der Jahre immer neue Schichten gelegt, die den Lauf der Dinge ein wenig anders darstellen. Fakt ist: Ich war damals für eine Zeit bei der Nationalgarde in Nashville, Tennessee, stationiert. Während eines Fluges entschloss ich mich, Johnny Cash einen Besuch aus der Luft abzustatten. Ich wollte ihm eine Kassette mit meinen Songs vorbeibringen. Ich flog also zu seinem Haus, das am See lag. Zum Glück war er selbst nicht da, als ich den Hubschrauber in seinem Garten aufsetzte. Johnny hat den Song nie aufgenommen. Aber er hat die Geschichte später auf seine Weise ausgeschmückt. Er sagte, er wäre selbst dagewesen und hätte mich gesehen, wie ich mit der Bierdose in der Hand in seinem Garten gelandet wäre. Stimmt zwar nicht, war aber die bessere Geschichte (lacht).

Als Sie die Army verließen, mit dem Ziel, Musiker zu werden, waren Ihre Eltern nicht gerade begeistert…

Kristofferson: Das ist nun mal eine Untertreibung. Sie wollten mich enteignen. Meine Mutter hatte sich am meisten darüber aufgeregt. Sie zürnte: Niemand, der älter als 14 ist, höre sich diese Musik an. Sie könne einen Mann auch nicht ernähren, und falls doch, würde sie sich so einen Mann nicht als Sohn wünschen. Na ja, mein Vater war etwas gemäßigter. Er wusste, dass ich am Ende meinen Kopf durchsetzen würde. Später sind beide wieder zu sich gekommen. Irgendwann hat meine Mutter sogar Johnny Cash umarmt und dabei vergessen, wie böse sie mir war, weil auch ich Countrysänger werden wollte.

Sie haben selbst acht Kinder. Sind Sie verständnisvoller als Vater?

Kristofferson: Das hoffe ich doch. Mein jüngster Sohn Blake und meine jüngste Tochter Kelly sind die einzigen meiner Kinder, die künstlerisch arbeiten. Mein Sohn schreibt, meine Tochter studiert Kreatives Schreiben. Es ist schon vorgekommen, dass Sie zu mir auf die Bühne kommt und mich auf dem Banjo oder der Gitarre begleitet. Ich versuche, sie zu überreden, dass sie mit zu meinen Konzerten nach Europa reist. Vielleicht kommt sie zu mir auf die Bühne, das ist… ein großes Glück.

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