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Kriegsende 1945 Kriegsende 1945: Der Massenselbstmord im mecklenburgischen Demmin

27.04.2005, 09:06

Demmin/dpa. - Die Kleinstadt wurde von Rotarmisten gebrandschatzt, dieBevölkerung terrorisiert. Hunderte oder gar Tausende hielten dasnicht aus und brachten sich um - einer der schrecklichstenMassenselbstmorde aller Zeiten.

Was der genaue Anlass für die Ausschreitungen der Soldaten war,ist bis heute umstritten. Norbert Buske, der für die Landeszentralefür politische Bildung in Mecklenburg-Vorpommern ein Heft über dieZerstörung Demmins verfasste, zählt mehrere Gründe auf: Dieabziehenden deutschen Truppen hatten die Brücken über die FlüsseTollense und Peene gesprengt, so dass die Rote Armee, die am 30.April kampflos in die bis dahin unzerstörte Stadt einrückte, nichtweiter konnte und sich so viele Truppen in der Stadt stauten. Zudemwaren in Demmin große Alkoholvorräte gelagert, die den Soldaten fürihre Feiern zum 1. Mai in die Hände fielen. Letzter Funke war dannwohl der Tod mehrerer Offiziere, die vermutlich vergifteten Weingetrunken hatten.

In der Nacht begannen die meist betrunkenen Soldaten dann, in derStadt mit knapp 20 000 Einwohnern zu marodieren. Hunderte Frauen undMädchen wurden vergewaltigt, viele Bewohner getötet und aus denWohnungen wurde alles gestohlen, was wertvoll erschien. Als dieKampftruppen dann am Tage über Notbrücken weitergezogen waren,steckten die verbliebenen Soldaten die Stadt planmäßig an. ZweiDrittel Demmins brannten nieder, das Löschen wurde der Bevölkerungdrei Tage lang verboten.

«Das Geschehen verursachte bei den Menschen eine Massenhysterie»,sagt der Rostocker Historiker Fred Mrotzek. Er schätzt, dass sichetwa 1200 bis 2500 Menschen das Leben nahmen. Viele nahmen Gift,andere erschossen sich, ganze Familien ertränkten sich in derTollense. Eine Augenzeugin berichtet: «In einer Breite von 1,5 bis 2Metern säumten Babywäsche, andere Bekleidungsstücke, insbesonderekostbare Frauenkleider und Pelze, Ausweise, Pässe und Geld die imFrühlingskleid prangenden Auen am Fluss.» Noch Wochen später wurdenLeichen aus der Tollense geborgen.

Der Hass und die Gewalt der sowjetischen Soldaten kam nicht vonungefähr. Bei ihrem Vormarsch durch ihr zerstörtes Land sahen sie,welche Verbrechen die Deutschen dem russischen Volk angetan hatten.Mit dem Erreichen der Grenzen der Sowjetunion und der Vertreibung derInvasoren war jedoch laut Mrotzek für den einfachen Rotarmisten dasKriegsziel des «Großen Vaterländischen Krieges» erreicht. Um sie zumotivieren, bis nach Berlin weiter zu marschieren, habe ihnen dieArmeeführung reiche Beute versprochen. Der Besitz der besiegtenDeutschen sei zur Plünderung freigegeben worden, die Frauen zurVergewaltigung.

«In Soldatenzeitungen, Flugblättern und im Rundfunk wurdeausdrücklich zu Rache und Vergeltung aufgerufen», weiß Mrotzek. Ineinem rituellen Hassgesang hieß es etwa: «Es gibt nichts lustigeresfür uns als einen Berg deutscher Leichen. Hänge sie auf und sieh zu,wie sie in der Schlinge strampeln. Brenne ihre Häuser nieder undfreue Dich an den Flammen.» Die derart aufgeputschten Soldaten warenauch nach Kriegsende von der Armeeführung nur schwer unter Kontrollezu bringen. Erst mit einem Gesetz vom März 1949, das Vergewaltigungmit bis zu 15 Jahren Arbeitslager bestrafte und mit der rigidenKasernierung der Truppen bekam die Führung die Soldaten in den Griff.