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Korrespondenzen Korrespondenzen: Fortgesetzte Störung

Von CHRISTINA ONNASCH 14.11.2008, 18:32

Halle/MZ. - Unter dem Titel " ... trotz allem, so wie du bist" hat die Bielefelder Literaturwissenschaftlerin Anja Ebner den Briefwechsel Wolfgang Koeppens (1906-1996) mit seiner Frau Marion (1927-1984) herausgegeben. Als sei mit dem freien Blick unter die Koeppensche Ehe-Bettdecke noch nicht genug entblößt, darf der Leser auch noch bis auf den Grund zweier Seelen schauen. Man erlebt Marions Alkoholkrankheit, ihre spätere Tablettensucht, eine lesbische Liebesbeziehung und Wolfgangs Ohnmacht mit. Aber auch die verzweifelte Liebe, die beide trotz allem in ihrer 36 Jahre dauernden Ehe zusammenhält. All das ist verzichtbar, weil es außer den beiden Briefschreibern niemanden etwas angeht.

Das müssen Leser wohl in Kauf nehmen, um dann doch Neues über den Menschen und Autor Koeppen zu erfahren. Denn in Wirklichkeit geht es hier nur um ihn und seine Sicht der Dinge. Die Briefe der 21 Jahre jüngeren Marion, die er 1943 kennen lernte, dagegen sind rar. Seine Briefe sind beherrscht vom Sorgen-Stakkato um den den Zustand seiner Frau. Man begreift diese "Biographie der Störungen", wie Hans-Ulrich Treichel sie in seinem Nachwort bezeichnet, sehr viel besser. Dass er das Ausbleiben des vom bundesdeutschen Literaturbetrieb geforderten großen Romans seit den 60er Jahren damit begründet hat, war keine Verstellung. Gleichwohl lassen sich seine Schreibblockaden allein damit nicht erklären.

Der Briefwechsel dokumentiert auch die Entstehungsbedingungen des Romans "Das Treibhaus", den Koeppen in großen Teilen in einem Stuttgarter Hotel schreibt. Dorthin war er offenbar vor Marions Sauf-Exzessen aus München geflohen. Der Autor erlebt, wie dieses "persönliche Drama" in sein Manuskript hineingerät und "mit der Geschichte des Abgeordneten (die ich schreiben wollte) keine allzu glückliche Verbindung" eingeht.

Manche Passagen dieser Korrespondenz sind Literatur. Das betrifft vor allem die Briefe, die Koeppen während seiner Reisen nach Italien, Frankreich, in die Sowjetunion oder in die USA schreibt. Sie können als Vorarbeiten für seine Reisebücher gelten, von denen "Amerikafahrt" das beste ist. Das sind keine Handreichungen für Touristen, sondern großartige Essays, die zwischen Fiktion und Wirklichkeit, Bericht und atmosphärischer Schilderung flirren. Fremde Länder sucht der melancholische Passagier Koeppen nicht mit der Seele, sondern mit seinen eigenen Lektüren. "Oft erinnert dieses Schiff an Geschichten von Kafka", notiert er während seiner Überfahrt nach Amerika.

So zeigt dieser Briefwechsel, der von der Herausgeberin genau kommentiert, wurde: Wolfgang Koeppen hat nach "Tauben im Gras", "Das Treibhaus" und "Der Tod in Rom" keinen Roman mehr vorgelegt, aber er hat geschrieben, geschrieben, geschrieben.

Wolfgang und Marion Koeppen: "...trotz allem, so wie du bist". Suhrkamp Verlag, 464 Seiten, mit Abb., 32,80 Euro.