Komponist Komponist: Schostakowitsch war ein musikalischer Himmelsstürmer

Moskau/dpa. - Doch wer genau hinhört, der spürt, wie Schostakowitsch musikalisch die Herrscher verhöhnte und dem gequälten Individuum eine unbeugsame Stimme gab. Deswegen traf ihn immer wieder auch der Bannstrahl der offiziellen Kritik. In aller Welt erinnern in diesem Herbst Konzerte und Festivals an den bedeutenden russischen Komponisten, der vor 100 Jahren am 25. September 1906 in St. Petersburg geboren wurde.
«Schostakowitsch ist mein Lieblingskomponist», sagt derBallettchef des Bolschoi-Theaters in Moskau, Alexej Ratmanski. Anseinem Haus laufen nach Jahrzehnten des Verbots vier der sechsBühnenwerke von Schostakowitsch. Die sowjetische Herrschaft habe dieRussen verändert, sagt Ratmanski. «Schostakowitsch hat dieseVeränderung am genauesten gespürt und ausgedrückt.»
Der junge Schostakowitsch begann als musikalischer Himmelsstürmer.Gleich seine 1. Symphonie, die Abschlussarbeit am Konservatorium,brachte ihm 1926 internationalen Ruhm. Zum ersten Mal gerietSchostakowitsch mit seinem Ballett «Der Bolzen» 1931 in Widerspruchzur sowjetischen Kulturbürokratie. Die Zensoren merkten, dass dasgroteske Tanzstück über Industriesabotage nicht nur Propaganda war,sondern zugleich eine Persiflage darauf. «Der Bolzen» wurde verbotenund erst 2005 im Bolschoi wieder auf der Bühne getanzt.
Ähnlich schlimm traf es die Oper «Lady Macbeth von Mzensk». Dersowjetische Diktator Josef Stalin verließ 1936 wutentbrannt eineAufführung, zwei Tage später fiel die Parteizeitung «Prawda» über denKomponisten her und giftete «Chaos statt Musik». In den Jahren desTerrors unter Stalin konnte ein solches Urteil Verhaftung, Lager oderden Tod bedeuten. Schostakowitsch blieb verschont und wurde ein Jahrspäter mit seiner 5. Symphonie wieder gnädig aufgenommen. «DieAntwort eines sowjetischen Komponisten auf gerechtfertigte Kritik»,schrieb er scheinbar unterwürfig unter das Werk.
Schostakowitsch legte sich eine mehrdeutige, chiffrierteMusiksprache zu. Mit vielen seiner Werke schmückte sich dieSowjetunion, zum Beispiel mit der 7. «Leningrader» Symphonie von1942. Darin fand der verzweifelte Widerstand von SchostakowitschsHeimatstadt gegen die deutsche Belagerung musikalischen Ausdruck.Dann wieder wurde der Komponist geschmäht. 1948 warf man ihm«formalistische Verzerrungen und antidemokratische Tendenzen» vor.
Die Gratwanderung zwischen Anpassung und künstlerischer Integritätbedeutete für Schostakowitsch ein Leben in Angst. «Warten auf dieExekution ist eines der Themen, die mich mein ganzes Leben hindurchgemartert haben», zitiert ihn sein Schüler und Biograf SolomonWolkow. Der Mann mit der dicken Hornbrille alterte schnell.
Eine Fluchtburg war die ideologisch weniger umstritteneKammermusik. In 24 Präludien und Fugen für Klavier (1950/51) maß sichSchostakowitsch am Großmeister Johann Sebastian Bach. Auf der intimenBühne des Streichquartetts errichtete Schostakowitsch sein zutiefstmenschliches Welttheater. 15 Quartette entstanden, das letzte einJahr vor seinem Tod am 9. August 1975.
Es sind kaum eigene Äußerungen Schostakowitschs zum kritischenInhalt seiner Werke überliefert. Sie wären für ihn, den Vorsitzendendes Komponistenverbandes, zu gefährlich gewesen. «Hören sie dochmeine Musik, da ist alles gesagt», wird er zitiert. Über der Suchenach politischen Untertönen gerät oft die überragende musikalischeSchöpferkraft Schostakowitschs, die tiefe Emotionalität seiner Musikins Hintertreffen. Deshalb mahnt der russische Stardirigent WaleriGergijew: «Es ist an der Zeit, mehr Musik in dieser Musik zuentdecken.»