Kloster Eberbach Kloster Eberbach: Jahrhunderte in Klarsichthüllen

Eltville/dpa. - Ebenso säuberlich verpackt und beschriftet ist alles, wassich auf der als Arbeitstisch aufgebockten Holztür ausbreitet: Daliegt eine Taschenbibel mit Frakturlettern neben den Scherben einerbarocken Tonpfeife, ein zerknautschter Kinderschuh aus dem 19.Jahrhundert neben einem zerfetzten Buchrücken mit der Jahreszahl1612. Noch älter ist die bierdeckelgroße Glasscheibe, deren gotischesKleeblattmotiv durch die Staubschicht schimmert. Klaus Schmitt greiftnach einem unscheinbaren Stück Holz: «Das liebt der Archäologebesonders.» Schließlich haben nicht viele Überreste mittelalterlichenHolzgeschirrs bis in die Gegenwart überdauert.
Geborgen hat Schmitt die Zeugen der Vergangenheit im KlosterEberbach im Rheingau, im Schutt über dem 800 Jahre altenKreuzgratgewölbe des Hospitalbaus. Eberbach gilt neben Maulbronn alseinziges vollständig erhaltenes Zisterzienserkloster Deutschlands -ein Baudenkmal, das sich so viel Atmosphäre bewahrt hat, dass es inden 80er Jahren als Kulisse für die Verfilmung des Mittelalter-Krimis«Der Name der Rose» diente. Minnesänger und Ritter zogen noch umher,als die Mönche sich im 12. Jahrhundert am Ausgang des engen Bachtalsniederließen und Bauten mauerten, die dauerhafter sein sollten alsKaiser- und Königreiche. «Baufällig ist das nicht. Da wäre in dennächsten Jahren nichts passiert», sagt Markus Hebgen, derGeschäftsführer der Klosterstiftung, und balanciert über dieHolzplanken, die Schmitts Leute über das Gewölbe gelegt haben.
Gleichwohl hat sich in den Jahrhunderten ein ziemlicherSanierungsbedarf angesammelt, das meiste seit der Auflösung desKlosters im Jahr 1803. Vor 20 Jahren haben Restauratoren undDenkmalpfleger die Arbeit aufgenommen; jetzt haben sie denHospitalbau und damit den ältesten Teil der Anlage eingerüstet.
Als erstes legten Schmitt und seine Mitarbeiter die Gewölbedeckedes Erdgeschosses frei. Schicht um Schicht trugen sie Bauschutt,Stroh, Reisig und Abfall ab, die einst als Füllmaterial für den überdie Spitzbögen gelegten Bretterboden dienten. Noch immer graben dieHelfer im Staub der Jahrhunderte. Gerade haben sie zwischen denKuppeln ein Rechteck aus Mauersteinen entdeckt. Ein Helfer reichtSchmitt ein Bruchstück. Eine Seite ist schwarz verfärbt.«Rußflecken», analysiert der Archäologe. «Ganz klar: Das war einHeizungskamin. Von wegen Askese.»
In ihrer Anfangszeit hatten die Zisterzienser jeden Komfortabgelehnt. Sie suchten Einfachheit und Abgeschiedenheit. Ihre Klösterbauten sie außerhalb der Städte, und statt Bauern den Zehntenabzunehmen, ernährten sie sich von eigener Arbeit in Garten, aufÄckern und - schließlich stand das Mutterkloster in Burgund -Weinberg. Eberbach rühmt sich heute, die Keimzelle des deutschenWeinbaus zu sein.
Tatsächlich wurde das Kloster rasch zum größten Weingut desMittelalters - Zentrum eines Agrarunternehmens mit weit gespanntenVermarktungswegen. Eigene Transportschiffe brachten die Fässerrheinabwärts zum Umschlagplatz Köln. In manchen Jahren deckte derWeinverkauf mehr als die Hälfte der Einnahmen, von denen zeitweise200 Mönche und 400 Laienbrüder lebten. «Ein Klosterweingut, zumal mitsolchen Dimensionen, ist in Deutschland eine ziemlich einzigartigeAngelegenheit», urteilt Hessens Landesdenkmalpfleger Gerd Weiß.
Gleichzeitig wichen die asketischen Ideale der Ordensgründerbarocker Pracht. Die Äbte umgaben sich mit Dienern, ließen sichWohnungen mit Stuckdecken und ein Gartenhaus errichten. Dermittelalterliche Hospitalbau - der weniger Krankenhaus alsPilgerherberge und Altenheim war - wurde zum Weinlager und dientenoch bis in die 50er Jahre als Kelterhaus.
Deshalb muss sich Thomas Diedrichsen heute unter anderem mit denvielen Schattierungen der Farbe Schwarz beschäftigen. Während dieArchäologen sich von oben durch den Staub wühlen, bessert derRestaurator von unten aus. Dazu hat er einen Bretterboden unter dasGewölbe gelegt. Baustrahler werfen grelles Licht auf den pechfarbenenblasigen Belag, der die Steine vollständig bedeckt. «SchwarzesKellertuch» heißt der Pilz, der sich vom Alkoholdunst ernährt undwegen seiner ausgleichenden Wirkung auf das Raumklima bei Winzerngern gesehen ist. In Eberbach ist er - weil dort schon lange keinWein mehr lagert - zwar längst abgestorben, aber die Denkmalpflegerwollen ihn der optischen Wirkung wegen erhalten.
Zur Zeit ziehen sich aber an vielen Stellen kalkweiße Adern durchdie Gewölbebögen. Dort haben Diedrichsen und seine Kollegen Rissegeschlossen: Die breiteren haben sie mit mit Mörtel verfugt, diefeineren zunächst nur mit einem Bindemittel abgedichtet, um den Rissdann von oben zu verfüllen. Dafür werden sie noch einige Wochenbrauchen. Ist das geschehen, werden die Risse übermalt. Penibel hatMatthias Wilk vom Hessischen Baumanagement die Schwarz- und Grautöneerfasst, die zu rekonstruieren sind: «Es sind jede Menge. Aber wennman einfach mit der Farbwalze drüberginge, wären Sie entsetzt. DiePatina der Geschichte wäre tot.» Die Schwarzmalerei sei nicht wenigeraufwendig als die Restaurierung eines farbenprächtigen Wandgemäldes.
Diese und andere Sanierungsarbeiten am Kloster hat sich das LandHessen bislang 52 Millionen Euro kosten lassen. Die jährlichenAusgaben liegen im Schnitt bei drei Millionen Euro. «Wir werden nochgut zehn Jahre brauchen», schätzt Hebgen. Sein Faible für Geschichteund Theologie kann der gelernte Verwaltungsmann in Eberbach vollausleben. Obwohl erst seit einigen Monaten im Amt, betet er Daten undAnekdoten der Klosterchronik herunter wie einen Rosenkranz: «Früherwurden hier 385 Reliquien von 105 Heiligen aufbewahrt. Darunter warenHaare, Milch und der Schleier Marias, ein Zahn Johannes' des Täufers,Blut und Windeln von Jesus sowie Stroh aus seiner Krippe.»
Hebgen erzählt von zwei frühen Äbten, die aus der Chronik getilgtwurden, weil sie im Streit zwischen Papst und Kaiser auf der falschenSeite standen; von ihrem Nachfolger, der bei Auseinandersetzungen mitden Laienbrüdern erschlagen wurde, von den bei den Plünderungen des30-jährigen Kriegs verschwundenen Handschriften, die jetzt in Oxfordliegen. Und gerne führt er seine Besucher an die Stellen, wo 1985Sean Connery in Mönchskutte den William von Baskerville gab. Als ernoch Mitarbeiter der rheinland-pfälzischen CDU-Landtagsfraktion war,wurde Hebgen nervös, «wenn mal zehn Minuten das Handy nichtklingelte». Heute genießt er die Ruhe an seinem Arbeitsplatz, wo ernoch 200 Jahre nach dem Wegzug der Mönche Spiritualität spürt.
1803 bemächtigten sich die deutschen Fürsten und Könige kurzerhandder Kirchengüter; sie entschädigten sich damit für Gebiete, die siean Napoleon verloren hatten. Eberbach fällt zunächst ans HerzogtumNassau, das die abgelegene Anlage als Irrenhaus und Frauengefängnis(«Korrektionsanstalt») nutzt.
Kunsthistorische Bedenken sind den neuen Herrschern fremd: Sielassen den Kreuzgang teilweise abreißen, um mit den Steinen einedekorative künstliche Ruine im Park des Biebricher Schlosses zuerrichten. Kupferne Dachrinnen aus Eberbach schmücken mit ihrenDrachenköpfen und Verzierungen heute das Wiesbadener Kurhaus. DieHauptzufahrt zur Klosteranlage wird ohne Rücksicht auf die im Wegestehende Abteikirche gelegt: Fuhrwerke rollen mitten durch denVorraum der mittelalterlichen Basilika. 1866 wird Eberbach preußisch,nach dem Zweiten Weltkrieg kommt es in den Besitz des Landes Hessen.Eine Zeit lang dient das Kloster als Flüchtlingsunterkunft.
All das lässt von der Inneneinrichtung wenig übrig. Einen einzigenSchrank aus dem ursprüngliche Mobiliar hat Hebgen bei Amtsantrittvorgefunden. «Das Glück und die Tragik Eberbachs» nennt er dieGeschichte nach 1803 - denn so sehr das Bauwerk unter seinerZweckentfremdung als Gefängnis und Irrenhaus litt, so verdankt es ihrdoch, dass es überhaupt noch steht. Immerhin war es den neuenHerrschern überhaupt noch zu etwas nutze: «Sonst hätte man es wohlabgerissen», sagt Hebgen.
Denkmalpfleger Weiß will die Spuren der späteren Nutzungkeineswegs beseitigen. In den Dachgeschossen etwa erinnern alteZellentüren an die Gefängniszeiten. Nicht einmal den zwischen Romanikund Gotik changierenden Hospitalbau - einer der wenigen seiner Art inDeutschland - sollen die Restauratoren in den Zustand von vor 800Jahren zurückversetzen. Ein Grund ist, dass man ihn kaum kennt: «Wirwissen ja gar nicht, wie der Innenraum wirklich aussah; vermutlichwar er voller Holzverschläge.» Praktische Probleme kommen hinzu. SeitNassauer Zeiten ist die Säulenhalle rund 60 Zentimeter niedriger alsvorher - man hatte kurzerhand einen neuen Fußboden aufgeschüttet unddafür die Basen der meisten Säulen abgeschlagen. Sie müsstenaufwendig restauriert werden.
Zu den Prunkstücken der bisherigen Sanierung gehört dasLaiendormitorium, mit 83 Metern Länge der größte mittelalterlicheProfansaal in Deutschland. Das frühere Schlafgemach für bis zu 300Menschen bietet heute ein stimmungsvolles Ambiente für Tagungen,Bankette, Preisverleihungen, Ausstellungen und Weinversteigerungen.Das Dormitorium steht mit 3000 Euro Tagesmiete auf der Liste, ebensodie dreischiffige Klosterkirche, die mit ihrem lang ausschwingendenNachhall gerne für Konzerte des Rheingau Musik-Festivals gebuchtwird.
Solche Einkünfte finanzieren den laufenden Unterhalt des Klosters,das seit 1998 eine Stiftung ist. Das Land Hessen zahlt dagegen diegroß angelegte Generalsanierung und nutzt das Kloster fürrepräsentative Empfänge. Kaum ein Staatsgast verlässt das Bundeslandohne einen Abstecher nach Eberbach.
Aber auch ohne Prominente kommen pro Jahr Tausende Besucher nachEberbach. Neben der Architektur und der Vinothek der hessischenStaatsweingüter erwartet sie dort auch ein kleines Museum mit denwichtigsten Fundstücken aus den Sanierungsarbeiten. Ob dort einesTages auch Objekte aus dem Schutt über dem Hospitalgebäude liegenwerden, weiß Hebgen noch nicht. Unter anderem hängt das davon ab, fürwie wertvoll die Experten die Fundstücke halten. Hebgen hofft, dassvielleicht noch mehr von den kleinen Glasrechtecken mit dem Kleemotivgefunden werden: «Dann könnte man vielleicht ein ganzes Fensterrekonstruieren.»