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Klaus Friedrich Messerschmidt Klaus Friedrich Messerschmidt: Die Späne der Erinnerung

Von ANDREAS HILLGER 20.09.2010, 17:57

HALLE/MZ. - Es gehört zu den Eigenheiten des Textes, dass der Ich-Erzähler die enger werdenden Fronten und den näher rückenden Frieden zwar nicht bewusst erleben, aber im Nachhinein genau erinnern kann. Denn KFM, wie der Autor sich selbst nennt, hat sich durch die Schichten der Vergangenheit gegraben - und dort nach eigenen Spuren gesucht, die lange vor seinem Geburtstag beginnen.

"Das sprechende Auge" heißt der erste Band seines "Lebenslauf Deutsch", den der Bildhauer Klaus Friedrich Messerschmidt nun beim Mitteldeutschen Verlag vorgelegt hat. Und wer das bildnerische Werk des gebürtigen Sangerhäusers kennt, wird dessen Motive wie seine Methode im neuen Metier wiederfinden. Messerschmidt ist ein Künstler, der die Gestalt mit skrupulöser Genauigkeit aus dem Material schält - und dem die Biografie immer auch als Rohstoff der Arbeit dient. Dass er zudem tief in einer Heimat wurzelt, die sich vom Glaubenskrieger Thomas Müntzer bis zum anarchischen Kommunisten Max Hoelz, vom Gottesmörder Friedrich Nietzsche bis zum Schmerzensmann Einar Schleef in viele radikale Lebensentwürfe eingeschrieben hat - das bot Klaus Friedrich Messerschmidt immer Inspiration wie Identifikation.

Das spürt man auch in seinem literarischen Debüt, das tief in die Zeitläufte der mansfeldischen Familien Messerschmidt und Ahlsdorf schneidet. Es ist der Geschmack von Birnenkartoffelsuppe und von Schlachteplatte, der Geruch von billigen Zigarren und von Holzsärgen, der sich durch die Seiten zieht - eine sinnliche Melange, in der gelebt und gestorben wird. Und vor allem gezeugt, damit die Geschichte weitergehen und an ihrem vorläufigen Ende der eine Sohn stehen kann, der diesem Mikrokosmos nun ein Denkmal von bemerkenswerter Größe setzt.

Messerschmidt beherrscht viele Tonlagen, er kann lakonisch und empathisch erzählen, er spielt mit dem Sprichwörtlichen und dem Mundartlichen - und er öffnet die Familien- immer wieder in die Zeitgeschichte, um sie vor größere historische Horizonte zu stellen. Dafür zitiert er jene Weltnachrichten, die Sangerhausen zwischen den Annoncen in der Lokalpresse erreichten. So mischt sich die alltägliche Banalität auf tragikomische Weise mit singulärem Geschehen.

Dass man sich in den dampfend sinnlichen Passagen immer wieder an den kleinen Oskar Matzerath erinnert fühlt, den Günter Grass einst mit seiner "Blechtrommel" in die Welt schickte, ist sicher kein zufälliger Befund. Immerhin ist der Blick des allwissenden Kindes ja jene Perspektive, die nun auch Messerschmidt wählt. Ein innerer Monolog der Mutter hingegen benennt sein großes Vorbild selbst: "Gestern Göpenstraße die Schleef, böse geguckt, große Hexe, immer andere Straßenseite, große Frau, na ja, feine Leute das." Hier findet der größte Sangerhausen-Roman "Gertrud" ein direktes Echo, Messerschmidt trifft im Parodie-Verfahren Schleefs Ton - so, wie er als Bildhauer mittelalterliche Madonnenbilder schnitzte oder sich in das schwierige Mutter-Sohn-Verhältnis bei Nietzsche hineinträumte.

Das mag man eklektizistisch finden, es ist aber ein Grundzug von Messerschmidts Kunst - ebenso wie die monomane Kraft, mit der er sein Feld bestellt. Und darum ist am Ende der 352 Seiten natürlich auch noch lange nicht Schluss: Der zweite Band des Lebenslaufs liegt bereits vor, der dritte ist in Arbeit. Man darf gespannt sein.

Buchpremiere in der Marienkirche Sangerhausen: Mittwoch, 19 Uhr