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Kinostart: 9. November Kinostart: 9. November: «Der letzte Zug»

Von Wolf von Dewitz 03.11.2006, 19:26
Erschöpft sitzen Albert Rosen (Roman Roth) und Ruth Zilberman (Sibel Kekilli) in dem neuen Kinofilm «Der letzte Zug» zusammengekauert an der Wand eines Waggons. (Foto: dpa)
Erschöpft sitzen Albert Rosen (Roman Roth) und Ruth Zilberman (Sibel Kekilli) in dem neuen Kinofilm «Der letzte Zug» zusammengekauert an der Wand eines Waggons. (Foto: dpa) Concorde

Berlin/dpa. - Auf ihre Hilferufe antworten die Soldaten mitSchüssen. Am Ende ihrer Fahrt erwartet sie der Tod im NS-Vernichtungslager. Produzent Artur Brauner zeigt mit seinem jüngstenFilm «Der letzte Zug» ein Kammerspiel des Schreckens.

Vier Regisseure, darunter Armin Müller-Stahl, hatten sich bereitsmit dem Filmprojekt beschäftigt. Brauner beauftragte schließlichJoseph Vilsmaier und dessen Ehefrau Dana Vávrová mit den Dreharbeitenin Tschechien. Der Produzent erschütterte das Kinopublikum bereits2002 mit dem teilweise dokumentarischen Film «Babij Jar», derGeschichte vom Massenmord an Juden in Kiew.

In «Der letzte Zug» stellen Vilsmaier und Vávrová die Geschichtevon Hoffnung in völliger Hoffnungslosigkeit auf engstem Raum dar: Ineinem Zugwaggon mit 100 Gefangenen. Die Kamera verlässt nur seltenden Waggon. Sie bleibt ganz nah an den Menschen, die an Entkräftungsterben oder wahnsinnig werden. Das Leid verschlägt dem Zuschauer denAtem. Am Ende öffnet sich die Waggontür, die Kamera fährt über diePassagiere ­ und die Lebenden sind nicht mehr von den Toten zuunterscheiden.

Die sechs Tage Zugfahrt werden in einer Intensität dargestellt,die fassungslos macht. Je länger die Fahrt dauert, destoschrecklicher werden die Bilder. SS-Schergen reichen Wassereimer indie durstende Menge. Die Situation gerät außer Kontrolle, die Eimerkippen um. In einer Kameraeinstellung von außen sieht der Zuschauer,wie das Wasser aus dem Waggon heraus tropft, während drinnen Menschenverdursten.

Die Besetzung des Films mit Gedeon Burkhard und Sibel Kekilliüberrascht: Burkhard kennt man aus der TV-Serie «Kommissar Rex», imKino gab er den adretten Lebemann («Abgeschminkt!»). Kekilli ist mitihrem preisgekrönten Auftritt in Fatih Akins Berlinale-Sieger «Gegendie Wand» bekannt geworden. Burkhard spielt überzeugend den jüdischenBoxer, der seinen letzten Kampf gegen Gitterstäbe und Holzwändeverliert. Kekillis Gesichtsausdruck hingegen bleibt eine Maske desEntsetzens. Ihrer Figur kann sie mit wenig Text kaum Tiefe verleihen.

Die Entdeckung des Films ist Lale Yavas («Zeit der Wünsche»). Siespielt eine fürsorgliche Mutter. «Die Männer haben Waffen, um uns zubeschützen», beruhigt sie ihre Tochter Nina zu Beginn. Es isterschütternd anzusehen, wie sie nach und nach begreifen muss: Siekann ihre Kinder nicht schützen. Ihr Baby verdurstet. Sie schreit dasEntsetzen heraus und verliert danach die Sprache. Am Ende torkelt sieaus dem Zug und hält das tote Kind schützend an ihre Brust.

In Rückblicken wird die Geschichte der Figuren erzählt. In ihremletzten Film «Bergkristall» (2004) haben die beiden Regisseure dasFamilienidyll überstilisiert in Szene gesetzt. In «Der letzte Zug»tun sie mit farblich überhöhten Rückblenden ähnliches ­ und treffendie richtige Bildsprache. Je auswegloser die Situation, destoglücklicher werden die Erinnerungen wie an das Tanzen der Tochteroder einen umjubelten Konzertauftritt. Den Gefangenen bleibt nur dieFlucht in die Gedankenwelt - bis der Durst sie wieder in die grausameWirklichkeit zerrt.