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Kinostart 25. Oktober Kinostart 25. Oktober:

22.10.2012, 08:32
Der Verdingbub Max (Max Hubacher, l) und Jacob Bösiger (Max Simonischek)gemeinsam bei der Arbeit. (FOTO: DPA)
Der Verdingbub Max (Max Hubacher, l) und Jacob Bösiger (Max Simonischek)gemeinsam bei der Arbeit. (FOTO: DPA) dpa-Film

Berlin/DAPD. - 1955 wird der Waisenjunge Max zu einer Bauernfamilie in Pflege gegeben. Man wird von den hartherzigen Bergbauern wie Arbeitsvieh behandelt, verprügelt und erniedrigt. Sein einziger Trost ist seine Handorgel, eine Erinnerung an seine Mutter - und seine Leidensgenossin, das Berteli, ein aufgewecktes Mädchen. „Der Verdingbub“ ist ein grimmiges Drama aus der bösen alten Zeit und war in der Schweiz ein Kassenschlager. Denn der Anti-Heimatfilm erinnert an eine bis in die 60er-Jahre gängige Praxis.

Man mag es heute kaum glauben, doch in der zivilisierten Schweiz wurden jährlich bis zu 10.000 Waisen, Scheidungs- und unehelich geborene Kinder an landwirtschaftliche Betriebe „verdingt“, wo sie für Kost, Logis und ein bisschen familiäre Wärme meist sehr hart arbeiten mussten und praktisch Sklavenstatus hatten. Die Verantwortlichen in Kirche und Staat kniffen beide Augen zu. Nicht allen erging es so schlecht wie den gequälten Kindern in Markus Imbodens Tragödie. Doch erst in den letzten Jahren ist diesem düsteren Kapitel der Schweizer Geschichte Aufmerksamkeit gewidmet worden. Der Film ist ein Querschnitt aus den schlimmsten Schicksalen.

Der verschlossene Max (gespielt von dem talentierten Max Hubacher) freut sich anfangs, dass er bei der Bauernfamilie im Emmental ein eigenes Zimmer bekommt. Der Bauer ist zwar ein unberechenbarer Trunkenbold, den seine verhärmte Frau sichtbar hasst. Doch der Knabe schuftet still, spielt abends auf der Handorgel, und erlangt mit seiner Musik auch im Dorf Anerkennung. Das prekäre Gleichgewicht wird gestört, als Sohn Jakob vom Militärdienst zurückkehrt und auf Max eifersüchtig wird. Als mit Berteli (Lisa Brand) ein weiteres Verdingkind auf den Hof kommt und mit Max Freundschaft schließt, spitzt sich die Situation zu. Denn der Jungbauer wirft ein Auge auf die 15-Jährige.

Zwtl: Herzzerreißendes Elend in der bösen alten Zeit

Schwere Kost: Beginnend mit einem kleinen Sarg, in dem Max' Vorgänger weggetragen wird, entwickelt sich die Geschichte mit der Unerbittlichkeit einer tickenden Uhr zur Tragödie. Der Moment, in dem Berteli und ihre kleinen Schwestern der Mutter weggenommen werden, ist herzzerreißend. Selbst die junge, moderne Lehrerin, die den Kindern helfen will, kann gegen das Schweigekartell aus Pfarrer und Familie Bösiger - nomen est omen - nichts ausrichten. Max wird zum Prügelknaben, der im Schweinestall schlafen muss. Mit fortschreitender Verrohung, Sadismus, Schikane und Vergewaltigung ist diese Alpen-Hölle von jeglicher „Heidi“-Idylle weit entfernt.

Der einzige Ausweg aus der Misere ist hier Kultur und Bildung. Max klammert sich an sein musikalisches Talent und will, nachdem er im Radio einen Tango gehört hat, mit Bertelli nach Argentinien fliehen. Sein Traum führt zu einem etwas naiven Filmende. Gelungen sind aber die Charaktere, bei denen Schwarz-Weiß-Malerei vermieden wird. Ohne Worte wird der Überlebenskampf der Sippe und ihre innere Zerrüttung deutlich.

Katja Riemann als verbissene Bäuerin, halb Opfer, halb Mittäterin, und Stefan Kurt als angezählter Patriarch, der die kargen Einkünfte versäuft, sind eindringliche und in ihrer wütenden Verzweiflung auch zeitlose Figuren existenziellen menschlichen Elends.

Schweiz 2011, 103 Minuten, FSK: 12, Verleih: Ascot Elite, Regie: Markus Imboden, Darsteller: Max Hubacher, Lisa Brand, Katja Riemann, Stefan Kurt, Maximilian Simonischek u.a.