Kinostart: 11. September Kinostart: 11. September: «Weiße Lilien»

Hamburg/dpa. - Auf den ersten Blick scheint in «Neustadt» allesin erschreckend perfekter Ordnung zu sein: 50 000 Menschen gehen inden Plattenbauten aus dem Zukunftsthriller «Weiße Lilien» vonRegisseur Christian Frosch einem genau geregelten Alltag nach undwerden dabei auf Schritt und Tritt von Überwachungskameras verfolgt.Hinter der Fassade tun sich jedoch Abgründe auf, die dem Zuschauermit einer raffinierten Geschichte über den Kampf einer Außenseiterinmit den Sicherheitsbehörden vor Augen geführt werden. So schafftFrosch in der deutschen Koproduktion eine originelle Neuauflage derdüsteren Gesellschaftsvision aus George Orwells «1984».
«Neustadt ist die Gegenwart der Zukunft von gestern», sagtRegisseur Frosch («Die totale Therapie»). Er zeigt rund 60 Jahre nachdem Erscheinen von «1984» ein Szenario, in dem viele der einstigenTechnik-Visionen der Moderne längst Wirklichkeit sind. So eröffnensich dank Handy und Internet heute Wege der Überwachung, die Autorenwie Orwell gerade erst erahnen konnten.
Opfer und Täter zugleich in dieser Geschichte ist die NeustädterinHannah (Brigitte Hobmeier), die durch ihre Liebe zu einemSicherheitsbeamten (Martin Wuttke) und ihre Freundschaft zuraufmüpfigen Anna (Johanna Wokalek) zwischen die Fronten gerät.
Optisch ist das kunstvoll in Szene gesetzt: Frosch untergräbt diescheinbar realistische Sichtweise des Films, indem er verschiedeneDarstellungen der Ereignisse einfach unauflösbar nebeneinanderstellt.Das sorgt nicht nur beim Zuschauer für reichlich Verwirrung - am Endescheint keine Figur mehr zu wissen, ob Hannah womöglich ihren Ex-Freund getötet hat und ob sie vielleicht schon mitten in die Pläneeiner Terrorbande verstrickt ist. So entwirft Frosch ein filmischesSpiegelkabinett, in dem der Schein nur allzu oft trügt und dieTäuschung zu einem Schlüsselmotiv wird.
Für Filmkenner ist der Streifen ein gefundenes Fressen: Ein Zitatreiht sich an das nächste. Frosch versucht sich als deutscher DavidLynch und lehnt sich an David Finchers «Fight Club» an, wenn er dasschizophrene Doppelleben von Hannah und Anna nahtlos ineinanderübergehen lässt. Surrealistische Traumsequenzen erinnern zudem anTerry Gilliams «Brazil» und mit einem Fahrstuhl in die Erste-Klasse-Welt klingt sogar Fritz Langs «Metropolis» kurz an.
Dass der Film trotzdem noch ein Eigenleben entwickelt, ist dergroßartigen Leistung der Schauspieler zu verdanken. Hobmeier («Nichtsals Gespenster») und der auch als «Tatort»-Kommissar bekannte Wuttkeschaffen es, aus einem existenziellen ein emotionales Drama zu machenund retten den Film so davor, zum kopflastigen Lehrstück zu werden.
Das geschieht, indem sie die innere Verunsicherung durch dieäußere Überwachung zeigen: Was im Großen der Verlust der Freiheitist, wird im Kleinen der Verlust des Vertrauens zum anderen. Denn ineiner Gesellschaft, die ihre Unschuld verloren hat - wie dieblutbefleckten weißen Lilien im Film versinnbildlichen - ist selbstdie Liebe immer doppelbödig.
Damit serviert Frosch schwere Kost, die nicht jedem schmeckendürfte. Seine filmischen und stofflichen Anspielungen stellen zudemAnsprüche, die sich nur schwer erfüllen lassen.