Kinostart: 07. Oktober Kinostart: 07. Oktober: «Die Zwillinge»

Hamburg/dpa. - In diesem Herbst scheint es fast, als hätte dasKino den Nationalsozialismus als Thema neu entdeckt. Neu ist, dassjetzt auch Schicksale jenseits des klassischen Opferdramas im Kino zusehen sind. «Der Untergang» wagte es spektakulär, Adolf Hitler undGefolge bis zum Selbstmord zu begleiten. Und nun kommt «DieZwillinge» ins Kino - ein intelligenter und zutiefst bewegenderniederländischer Film über Schuld und Unschuld, Leid und Vergebungweit entfernt vom Führerbunker. Geschichte hautnah.
Die wunderbaren Schauspielerinnen Nadja Uhl und Thekla Reuten sinddie Schwestern, von denen eine beim faschistischen «Tätervolk» großwird, die andere bei Verwandten in den Niederlanden. Schon der Romander Niederländerin Tessa de Loo war 1997 in ihrer Heimat, wo heutenoch die Deutschen von manchen böse als «Moffen» beschimpft werden,ein Tabubruch: Denn de Loo verurteilt zwar den Faschismus klar unddeutlich, spürt aber auch feinsinnig und raffiniert den Zwischentönenzwischen Schicksal, Zufall und Entscheidung nach.
Der Regisseur Ben Sombogaart bewahrt in seinem «Liebesfilm überZwillinge in einer schwierigen Zeit» die Perspektive des Buches undverzichtet auf jede Rechthaberei. Für Nadja Uhl, die Darstellerin dernaiven Anna, ist die für den Auslands-Oscar 2004 nominierteniederländische Produktion schlicht «ein Geschenk an die Deutschen».
Anna und Lotte sind zweieiige Zwillinge. Sechs Jahre alt sind dieUnzertrennlichen, als sie durch den Tod ihrer Eltern getrennt werden.Während die robustere Anna auf dem Bauernhof ihres brutalen Onkels imkatholischen Rheinland Schwerstarbeit leisten muss und fürschwachsinnig erklärt wird, damit sie nicht zu Schule geht, hat diekränkliche Lotte mehr Glück. Sie wächst bei einer bürgerlichenFamilie in den Niederlanden auf und genießt alle Vorteile einerkultivierten Erziehung. Doch beide Pflegefamilien unterbinden jedenKontakt zwischen den Schwestern.
Der Nationalsozialismus in Deutschland gibt Anna (Nadja Uhl)Hoffnung auf ein besseres Leben. Sie findet eine Anstellung alsHausmädchen, arbeitet später für eine Gräfin und Offiziersgattin, mitder sie auf ein Landgut im Osten zieht. Lotte (Thekla Reuten)entdeckt, dass ihre Pflegeeltern ihre Briefe an Anna niemalsabgeschickt haben, findet deren Adresse heraus und besucht sie. Dasersehnte Treffen endet furchtbar. Lotte zeigt Anna ein Foto ihresVerlobten. Annas naiver Kommentar: «Der sieht nett aus. Ich dachte imersten Moment, er sei Jude.» Später kommt der jüdische Verlobte im KZums Leben. Und Annas Ehemann, ein freundlicher SS-Soldat, stirbt inden letzten Tagen des Krieges. Lotte kann Anna ihre unkritischeHaltung nicht verzeihen.
Erst 50 Jahre später treffen sich die Schwestern wieder. In einemletzten Versuch ringt Anna verzweifelt um die Liebe und dasVerständnis von der unversöhnlich stolzen Lotte. Ben Sombogaarterzählt die Biografien der Schwestern in langen Rückblenden undstreng subjektiv aus der Sicht von Lotte oder Anna. Es gibt keinegroßen Fackelaufmärsche und keine drastischen Bilder von Schlachtenund Vernichtung. Aber die enge Verbindung dieser beiden sehrunterschiedlichen Leben eröffnet eine weite Perspektive auf diemenschlichen Folgen einer politischen Katastrophe.