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Kinostart: 06. November Kinostart: 06. November: «Hierankl»

Von Ricarda Schrader 02.11.2003, 17:13

Hamburg/dpa. - Das ist ein Heimatfilm. Zwei Mal lässt Regisseur Hans Steinbichler in seinem Debütfilm «Hierankl» einen seiner Protagonisten darauf hinweisen. Dies gilt der nachhaltigen Dekonstruktion all jener verkorksten Klischees, die mit diesem Genre assoziiert werden. Hier sieht man sie auf beeindruckende Weise ins Gegenteil verkehrt. Allein, die Kommentare wären nicht nötig gewesen. Denn das Gehöft Hierankl vor der prachtvollen Kulisse des Chiemgau ist trotz des blühenden Gartens kein idyllischer Ort. Hier treffen sich die entfremdeten Mitglieder einer Familie zum 60. Geburtstag von Vater Lukas (Josef Bierbichler).

Jahrelang hat sich Lene (Johanna Wokalek) nicht überwinden können, an den Ort zurückzukehren, den sie mit 17 wegen der Konflikte mit ihrer Mutter verlassen hat. Und an dem nun Lügen und Geheimnisse aus ihrer Versteinerung brechen. Auslöser dieser Eruption ist Götz (Peter Simonischek), ein Studienfreund der Eltern. Nach 30 Jahren taucht er auf und beginnt eine Affäre mit Lene. «Zerschundene Seelen vor dieser vollkommenen Landschaft», wollte der im Chiemgau aufgewachsene Hans Steinbichler offen legen: «Weil ich weiß, dass man gerade in einer so homogenen Landschaft immer in die Schönheit flüchten kann und das, was einen bedrückt, einkapselt. Das ist halt typisch Bayern. Ich wollte im Film zeigen, wo es ausbricht.»

Hierankl ist ein Ort, an dem die Lüge der Geborgenheit schon lange nicht mehr funktioniert. Rosemarie, die Mutter (Barbara Sukowa) ist in der inneren Emigration verhärtet, hat einen jungen Liebhaber wie Vater Lukas eine junge Geliebte. Sohn Paul (Frank Giering) ist ein träger Zeuge dieser Zerrüttung. Er ist es auch, der den Familienplot zynisch als Heimatfilm bezeichnet. Lene, die nun in Berlin zu Hause ist, tastet sich an die Refugien und Objekte ihrer Kindheit zurück, die mit quälenden Erinnerungen verbunden sind.

«Heimat und Familie, das sind die Sphären, die mich interessieren», erklärt Hans Steinbichler. «Beides ist enorm schmerzhaft, wenn man sich damit auseinander setzt.» So beeindruckt dieser moderne, vom traditionellen Kitsch bereinigte Heimatfilm vor allem als Familiendrama. Der junge Filmemacher unterscheidet explizit zwischen Heimatverbundenheit und schein-heimeliger Volkstümelei. Was beim Filmfest München mit dem Förderpreis Deutscher Film für die beste Regie und die beste Darstellerin, Johanna Wokalek, honoriert wurde.

Der Blick in familiäre Abgründe ist ähnlich schonungslos wie in Chris Kraus' «Scherbentanz», der gnadenlos die Kulissen des Großbürgertums demontierte. Und er ist ebenso beharrlich wie in der inzwischen zum modernen Klassiker gereiften Familientragödie «Das Fest» des Dänen Thomas Vinterberg. Die Flucht in die überwältigende Landschaft bleibt da auch den von der voralpinen Schönheit beeindruckten Zuschauern verwehrt. «Ich wollte keine Wahlmöglichkeiten bieten», erklärt Hans Steinbichler. «Die Einstellungen für die Gesichter habe ich oft bewusst sehr eng gewählt, damit man nicht raus kann.»