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Kettcar sind düsterer geworden

Von Irena Güttel 18.04.2008, 05:59

Hamburg/dpa. - «Man ist immer so alt, wie man sich liebt» - dieser Satz aus dem neuen Kettcar-Song «Graceland» klingt verdammt nach Midlife-Crisis. Doch davon ist Sänger Marcus Wiebusch weit entfernt.

Im Sommer wird er zwar 40 Jahre alt, so richtig erwachsen fühlt er sich trotzdem nicht: «Ich führ' das Leben eines Jugendlichen. Ich werde in ein paar Wochen auf den Bühnen dieser Welt mit Chucks rumlaufen und mich bejohlen lassen - und das fühlt sich geil und richtig an.»

Jetzt ist mit «Sylt» das dritte Album der Hamburger Band erschienen, auf das die Fans drei Jahre lang warten mussten. Schuld daran waren vor allem die Song-Texte. «Wenn's nur um die Musik gehen würde, könnten wir sicherlich jedes Jahr ein Album rausbringen», erklärt Wiebusch. «Aber die Texte sind so, dass mir die Ideen nicht wöchentlich zuspringen.»

In den zwölf Stücken singt er von gescheiterten Existenzen, verlorenen Freundschaften, geplatzten Träumen und einer Gesellschaft, in der nur Leistung und Konformität zählen. Menschen sind in ihr Kostenfaktoren («Fake for real»), rackern sich im Hamsterrad ab («Würde») oder stehen vor einem Scherbenhaufen («Wir müssen das nicht tun«). Am Ende bleiben Fragen stehen wie «Denkst du ernsthaft dieses Leben macht Spaß?» («Am Tisch»).

Kritisch waren Kettcar schon immer, das neue Album ist jedoch ihr düsterstes. Ganz ohne Hoffnung sei es aber nicht, betont Wiebusch: «Ich hab zwei Kinder zu Hause, ich kann nicht einfach sagen: "Das ist alles Scheiße".» Das unterstreicht auch die Musik, die statt dunkler Klangwelten auf einen rockigen Sound setzt, den Wiebusch als «dringlich» und «fordernd» bezeichnet.

Dass die Band die Hoffnung nicht so einfach aufgibt, liegt vielleicht auch an ihrer eigenen Geschichte. Als Kettcar 2002 kein Label für ihre erste Scheibe fand, gründeten Wiebusch, Bassist Reimer Bustorff und der Sänger der befreundeten Band Tomte, Thees Uhlmann, kurzerhand mit Grand Hotel van Cleef ihre eigene Plattenfirma - mit Erfolg. Die letzte CD von Kettcar verkaufte sich rund 70 000 Mal, die von Tomte 60 000 Mal.

Im Oktober soll ein neues Album von Tomte erscheinen. Zwar seien ihm Verkaufszahlen und Chartplatzierungen nicht so wichtig, behauptet Wiebusch. Aber in einem Punkt ist er doch recht ehrgeizig: «Das letzte Kettcar-Album ging auf fünf, das letzte Tomte-Album auf vier. Ratet mal, was unser erklärtes Ziel ist», sagt Wiebusch und grinst.

Gemessen werden könnte «Sylt» auch am Erfolg einer weiteren norddeutschen Band. Im März veröffentlichten Madsen ebenfalls ein neues Album, das direkt auf Platz sechs in die Charts einstieg. Laut, rotzig und mit kritisch-direkten Texten geben sich die niedersächsischen Musiker auf ihrem Drittling «Krieg im Frieden».

Wie Kettcar und Tomte wurden Madsen von der Hamburger Schule beeinflusst, zu der Bands wie Tocotronic, Die Sterne und Blumfeld zählen. Weitere Gemeinsamkeiten sieht Kettcar-Frontmann Wiebusch jedoch nicht und wehrt sich vehement gegen ein Etikett «norddeutscher Gitarrenpop». «Man kann sagen, dass unsere erste Platte sehr von Hamburg geprägt war. Aber das neue Album hätte auch aus Köln oder München stammen können.»

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