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Kessler-Zwillinge Kessler-Zwillinge: Alice und Ellen und die Träume der Männer

Von Ralf Isermann 18.08.2011, 07:09
Die Kessler-Zwillinge Alice (l-r) und Ellen Kessler singen bei der Premiere im Hansa Variete Theater Hamburg. (FOTO: DPA)
Die Kessler-Zwillinge Alice (l-r) und Ellen Kessler singen bei der Premiere im Hansa Variete Theater Hamburg. (FOTO: DPA) dpa

München/afp. - Sie teilten den Bauch ihrer Mutter, die Karriere als Tänzerinnen, die Träume der Männer - und mit nun bald 75 Jahren teilen sie auch den Lebensabend: Alice und Ellen Kessler, die eineiigen Zwillinge, haben ihr Leben noch intensiver miteinander verknüpft, als es gewöhnlich bei Zwillingspaaren der Fall ist. Vor allem ihr Vater, ein Trinker, brachte die beiden mit seiner Unberechenbarkeit dazu, sich zum gegenseitigen Schutz aneinander zu klammern. «Eins plus Eins ist Eins» wurde deshalb ihr Motto.

Alice und Ellen kamen am 20. August 1936 im sächsischen Nerchau mit dem Nachnamen Kaessler zur Welt. Weil die Eltern beide musisch interessiert waren, schickten sie die Mädchen zum Ballett. 1947 nahm sie das Kinderballett der Leipziger Oper auf, 1950 bestanden sie mit Auszeichnung die Aufnahmeprüfung der Operntanzschule.

Unbeschwert waren die Kinderjahre der Zwillinge nicht. Ihre beiden älteren Brüder starben an Gelbsucht und Typhus. Der Vater hatte eine Geliebte. Besonders schwer war es für die Mädchen, nachdem die Geliebte den Vater verlassen hatte. Danach sei er monatelang nachts betrunken nach Hause gekommen und habe die Mutter beleidigt oder ihr Gewalt angetan, erzählten sie.

"Unsere Angst vor seiner blinden Wut und das Gefühl, uns an niemand anderem festhalten zu können, hat uns für alle Zeiten zusammengeschweißt», erinnerten sich die beiden vor Jahren in der Wochenzeitung «Die Zeit». «Unser Aneinanderklammern hatte also tiefere Wurzeln als die übliche Einheit, die jedes Zwillingspaar fühlt. Bei uns war es auch Überlebensinstinkt.»

Die Familie verließ noch vor dem Mauerbau gemeinsam die DDR in Richtung Westen, wo die Zwillinge 1952 am Düsseldorfer Revuetheater Palladium engagiert wurden. Nachdem der Chef des weltberühmten Lido in Paris sie dort tanzen sah, öffnete sich für die blonden Zwillinge das Tor zur großen weiten Welt: Die gerade 18-jährigen Kaesslers strichen das «a» in ihrem Namen und tanzten sich von nun an die Herzen der Männer der französischen Hauptstadt.

In den prüden Nachkriegsjahren gehörten sie zu den ersten, die in seriösen Shows viel Bein zeigten. Glamour und Glitzer wurden ihr Leben. In Deutschland erschienen die Kesslers vielen als zu kühl, dort erhielten sie nie die gleiche Anerkennung wie im Ausland, wo sie für für ihre professionell durchinszenierten Tanz- und Show-Auftritte geliebt wurden. Als ihr Vertrag in Paris 1960 endete, ging das «doppelte deutsche Fräuleinwunder» auf Welttournee. Die Kesslers tanzten in New York, Caracas, Monte Carlo, Barcelona, Buenos Aires oder Sydney, waren Gast in internationalen Fernsehshows und hatten auch mehrere Auftritte in Kinofilmen.

1962 zogen die Kesslers nach Italien und behielten dort für 24 Jahre ihren Erstwohnsitz. Einen regelrechten Kult erzeugten sie 1975. Damals lästerte ein Journalist im italienischen «Playboy": «Die Kesslers sind nicht mehr die Jüngsten und nicht mehr die Schönsten.» Die eher forsche Ellen überzeugte die eher schüchterne Alice, den optischen Gegenbeweis anzutreten: Der «Playboy» mit den nackten 39-jährigen war binnen drei Stunden ausverkauft.

Abgesehen von wenigen Wochen waren sie stets zusammen, geheiratet haben sie nie - beide hatten aber durchaus längere Beziehungen. Ellen war 20 Jahre mit dem italienischen Schauspieler Umberto Orsini zusammen, Alice mehrere Jahre mit dem französischen Sänger Marcel Armond. Doch alle Beziehungen scheiterten, für ihr eigenes gegenseitiges Verhältnis fanden die Kesslers einmal den Begriff der «zärtlichen Hassliebe».

Seit 1986 nun leben die Schwestern in einem Doppelhaus in Grünwald bei München, die Haushälften sind per Schiebetür verbunden. Wie aber wird es sein, wenn für eine der beiden das Leben endet? Dies könne sich keine von beiden vorstellen, sagten sie vor fünf Jahren der «Zeit». Und dann erinnerten sie an ihre Großmutter, die auch eineiiger Zwilling war und nach dem Tod ihres Mannes mit der Schwester lebte. «Als die eine starb, folgte ihr die andere kurz darauf.»