Keith Richards Keith Richards: «Angst? Kenne ich nicht!»

Halle (Saale)/MZ. - Keith Richards ruft aus New York an, und obwohl das sonore Dauer-Krächzen am anderen Ende der Leitung befürchten lässt, das Gespräch könnte von einem Moment auf den anderen vorbei sein, redet der Gitarrist der Rolling Stones immer weiter, er spricht über Politik und über politisch Unkorrektes.
Das Kuriose daran ist, dass diese geschundene Stimme in ihrer Brüchigkeit die ganze Zeit über konstant bleibt. Es ist die Stimme seines Lebens, gegerbt von seiner exzessiven Lebensweise, die er in seiner Autobiografie in vielen Details beschrieben hat. Jetzt hat er mit den Rolling Stones eines der bedeutsameren Alben der Band wiederveröffentlicht - "Some Girls", entstanden 1977, als die Stones an der eigenen Größe zu ersticken drohten.
Mit Keith Richard sprachen Hannah Schneider und Martin Scholz.
Mr. Richards, sind Sie ein politischer Mensch?
Richards: Hey Mann, ich versuche eigentlich, mich aus der Politik rauszuhalten. Und die Politik sollte sich auch besser aus mir raushalten, so sehe ich das, ha ha ha.
Das scheint nicht immer zu klappen. Als Sie kürzlich in New York mit dem Norman-Mailer-Literaturpreis für Ihre Autobiografie "Life" ausgezeichnet wurden, hielt Ex-Präsident Bill Clinton die Laudatio . . .
Richards: Das war in der Tat ziemlich unglaublich. Zumal ich so eine abgedrehte Rede, wie er sie gehalten hat, über mich selbst kaum hätte schreiben können. Clinton stichelte: Außer Kakerlaken sei Keith Richards vermutlich die einzige Lebensform, die einen Atomkrieg überleben würde.
Konnten Sie darüber lachen?
Richards: Aber sicher doch. Ich kenne Präsident Clinton, ich nenne ihn übrigens Bill, schon seit Jahren. Außer zu ihm habe ich sonst keine großartigen Verbindungen in die Politik. Bill ist ein verdammt guter Typ. Er könnte in den Raum kommen und selbst wenn du nicht wüsstest, wer er ist, würdest du dich in seiner Gegenwart gut fühlen. Ich mag einfach seine Gesellschaft.
Hat er Sie mal ins Weiße Haus eingeladen?
Richards: Nein, nichts in der Art. Das erste Mal habe ich Bill und Hillary getroffen, als die Stones ein Konzert zum Schutz des Regenwalds im New Yorker Central Park gaben. Wir spielten ein paar Songs, danach sollte uns Präsident Clinton ablösen und eine Rede halten. Als ich die Bühne hinten über die Treppe verließ, stand er plötzlich da, er wartete auf mich - der Präsident der Vereinigten Staaten.
Was sagt man in solchen Momenten?
Richards: Ich rief ihm zu: "Hi Bill, ich hab die Menge schon mal für dich aufgewärmt." So haben wir uns kennen gelernt. Mit seinem Nach-Nachfolger hatte ich bislang nur Briefkontakt. Ich hatte Obama kurz nach seinem Wahlsieg einen Glückwunsch-Brief geschickt. Er hat mir sogar zurückgeschrieben und sich bedankt - sehr nett von ihm.
Ein anderer Regierungschef, Vaclav Havel, hatte die Rolling Stones 1990 sogar in seinen Amtssitz in Prag eingeladen. Sie wurden dort wie Staatsgäste empfangen. Wie kamen Sie sich da vor?
Richards: Was Sie alles an Geschichten ausgraben! Die Begegnung mit Havel war etwas ganz Besonderes für uns. Er war damals nach der samtenen Revolution in der Tschechoslowakei zum Staatschef gewählt worden. Ich kann mich genau an die Schlagzeilen auf den tschechischen Zeitungen erinnern: "Die Panzer rollen raus, die Stones rollen rein". Die Zeitungsausschnitte hängen bei mir zu Hause noch immer an meiner Wand.
Eine Sache habe ich bis heute nicht vergessen: In Havels Arbeitszimmer auf dem Hradschin-Berg stand ein Teleskop, mit dem er von dort aus auf seine frühere Gefängniszelle schauen konnte. Ich fand das sehr…seltsam. Wo ich jetzt wieder darüber rede - das ist eigentlich eine klasse Geschichte für einen Song.
Dafür, dass Sie sich eigentlich aus der Politik heraushalten wollen, haben Sie erstaunlich viele Staatschefs getroffen. Wie passt das zusammen?
Richards: Man muss das schon differenzieren. Clinton und Havel sind, jeder für sich ganz besondere Typen, Rock’n’Roller eben. Es gibt natürlich noch andere aus dem Polit-Betrieb, die schon mal versuchen, uns Ihre Aufwartung zu machen. Einige davon stehen auch eher rechts im politischen Spektrum. Mit denen will ich nichts zu tun haben. Das geht gar nicht, weil es sich nicht mit der Haltung unserer Musik vereinbaren lässt. Die wenigen Burschen aus dem Polit-Betrieb, die ich kenne, sind Liberale oder sie stehen links von der Mitte.
Aber wenn ich mich mit Bill Clinton treffe, was öfter vorkommt, sprechen wir nicht über Politik. Ich bin nicht in diesem eng gefassten Sinn politisch. Ich bin Musiker. Wenn unsere Musik politisch für irgendetwas steht, dann für die Gleichberechtigung zwischen Menschen. Das war immer unsere Vision.
Im Titelsong des jetzt wiederveröffentlichten Stones-Albums "Some Girls" aus dem Jahr 1978 geht es diesbezüglich weniger politisch korrekt zu. Die Zeilen "Black girls just wanna get fucked all night" lösten damals einen Eklat aus…
Richards: Das kann man wohl sagen. Der schwarze US-Politiker Jesse Jackson sowie zahlreiche Frauen- und Schwarzen-Verbände riefen damals zu einem Stones-Boykott auf.
Was hatten Sie sich dabei gedacht?
Richards: Nehmen Sie es einfach als eine Zeile, die sich mit der Liebe als solcher beschäftigt und am Ende zu dem Schluss kommt, dass schwarze Mädchen am intensivsten lieben (lacht).
Wenn man Mick Jagger heute auf die politische Strahlkraft früher Stones-Lieder anspricht, tut er das gerne als nostalgisch verklärte Medien-Interpretation ab. Und schreibt dann doch immer wieder Songs wie "High Wire", in denen, zu Zeiten des zweiten Golfkriegs, die Aufrüstung Saddam Husseins durch den Westen kritisierte. 2005 nahm er sich in "Sweet Neo Con" die Politik der Bush-Administration nach 9 / 11 vor - viele US-Radiostationen weigerten sich daraufhin, den Song zu spielen.
Richards: Ich sag Ihnen was: Manchmal tut es gut, verboten zu werden. Schon erstaunlich, wie Rundfunkstationen immer wieder Angst davor haben, einfach einen Song zu spielen. Mit "Sweet Neo Con" war es einfach. Der Titel sagte, worum es ging - die Abschaffung bestimmter freiheitlicher Grundrechte durch die Neokonservativen. Jeder wusste, was damals in den USA geschah. Manchmal ist es eine Ehre, verboten zu werden. "Street Fighting Man" war so ein Stones-Song, der in Rückschauen auf die 68er so oft reflexartig zitiert wurde, dass man es irgendwann nicht mehr hören konnte.
Sie leben in New York und erleben dort die Zusammenstöße zwischen Polizei und Occupy-Anhängern. Können Sie deren Wut verstehen?
Richards: Ja. Ich war die letzte Zeit fast jeden Tag in New York, habe mir das alles aus nächster Nähe angesehen. Ich finde diese Bewegung sehr interessant. Es gut, dass diese Wut rauskommt, dass die Menschen wieder auf die Straße gehen. Im Moment scheint mir vieles bei Occupy zwar noch ein bisschen unkoordiniert.
Und ich sehe da durchaus Parallelen zu den Demonstrationen in den 60ern. Die Leute auf den Straßen wollen aufrütteln, man spürt, da tut sich was, es vibriert. Es ist eher dieses Gefühl, dass mich an die 60er erinnert, inhaltlich lässt sich der Protest gegen den Vietnamkrieg nicht unbedingt mit dem Wut auf die Wall Street vergleichen. Aber so ist das: Unterschiedliche Generationen haben unterschiedliche Formen des Protests.
Mr. Richards, Sie haben das Dilemma von Rock-Musikern, die sich mit Politikern treffen, schon 1978 in dem Song "Respectable" sehr schön ironisch zugespitzt. Da heißt es: "We’re talking heroin with the president. Yes, it’s a problem, Sir, but it can’t be bent". Nach all den Jahren können Sie es uns jetzt ja verraten - von welchem Präsident ist da die Rede?
Richards: Ich kann Ihnen nur soviel verraten, es war ein ehemaliger Präsident. Aus welchem Land er kommt, werden Sie von mir nicht erfahren. (lacht). Dafür ist das Thema immer noch zu heikel. Wir hatten an den damaligen kanadischen Premier Pierre Trudeau gedacht.
Schließlich waren Sie 1977 in Toronto wegen Heroin-Besitz festgenommen worden. Nach Wochen in den Schlagzeilen mussten Sie zwei Benefizkonzerte geben und die Sache war erledigt. Aber eine Zeitlang sah es so aus, dass Sie tatsächlich für längere Zeit ins Gefängnis hätten gehen müssen. Hatten Sie damals je Angst, dass Sie es zu wild getrieben haben könnten?
Richards: Angst? Kenne ich nicht. Wissen Sie, ich hatte Ende der 70er, als sie mich festnahmen in Toronto, schon einige Jahre mit den unterschiedlichsten Formen von Druck und Bedrohung zu leben gelernt. Ich hatte mich auf gewisse Weise daran gewöhnt. Und wenn ich im Studio war, fühlte ich mich sowieso fast "immun" gegen alles.
Wie ernst die damalige Situation war, habe ich erst später gemerkt. Ich habe das dann in dem Song "Before They Make Me Run" aufgeschrieben. Bis zu dem Zeitpunkt hatte ich immer gedacht: Es ist lustig, verhaftet zu werden, es ist lustig, vor Gericht zu stehen. Diesmal dachte ich: Mann, jetzt wird’s ernst. Angst hatte ich trotzdem nicht.
Mr. Richards, vor fast zehn Jahren gingen Sie auf die Forty-Licks-Tournee, um das 40-jährige Bestehen der Rolling Stones zu feiern. 2012 wird Ihre Band ein halbes Jahrhundert alt. So oft, wie Sie in den letzten Jahrzehnten schon gefragt wurden, ob die nächste Tour ihre letzte sei, fehlen einem inzwischen die Worte, um das Erstaunen darüber auszudrücken, dass es die Rolling Stones immer noch gibt. Was werden Sie 2012 machen?
Richards: Ich kann es Ihnen noch nicht sagen, weil ich es selbst noch nicht weiß. Ich mache Druck. Ich sehe die Jungs in diesen Wochen, wir werden uns in einem Proberaum einschließen und sehen, wohin es uns treibt. Es geht nicht darum, zu entscheiden, ob wir etwas machen, sondern nur, was genau wir machen werden. Wir werden definitiv etwas machen. Ich freue mich schon jetzt sehr auf das kommende Jahr. Ich weiß noch nicht, ob wir neue Songs einspielen werden. Hauptsache, ich spiele wieder mit Charlie Watts, das ist alles, was ich will. (lacht)
Was halten Sie von Mick Jaggers neuem Solo-Projekt "Super Heavy"? Richards: Ich habe davon gehört, aber bislang nur ein paar Songs im Radio gehört!
Nicht Ihr Ernst. Oder?!
Richards: Er hat einige ganz interessante Musiker um sich gescharrt. Aber ich kann mir noch keine wirkrliche Meinung dazu bilden, weil ich es bis jetzt noch nicht ganz gehört habe.
Also gut, reden wir noch ein bisschen über Ihr jüngstes Hobby, die Literatur. Sie haben in den vergangenen Wochen gleich zwei Literaturpreise für Ihre Autobiografie erhalten…
Richards: Ich weiß, irre nicht wahr?
Wird Sie das anspornen, weitere Bücher zu schreiben?
Richards: Ich versuche immer noch, den Rummel um das letzte Buch zu verarbeiten. Seltsam ist das schon, vor allem bei dem Norman-Mailer-Award. Es ist ehrlich gesagt unglaublich, da vor 3000 Schriftstellern, darunter Leute wie Elie Wiesel, zu stehen, vor Leuten, die schon ihr ganzes Leben nichts anderes gemacht haben, als Bücher zu schreiben. Und dann schreibe ich ein einziges Buch und kriege den Norman-Mailer-Preis (lacht).
Das ist natürlich sehr anregend. Es sind ja noch so viele Geschichten aus meinem Leben übrig, die ich NICHT aufgeschrieben habe. Aber ob ich deshalb noch ein Buch schreiben sollte? Ich weiß es nicht so recht. Los Leute, strengt euch an, versucht mich zu überreden. Ha ha ha.
Dazu fehlt uns vermutlich das das nötige Kleingeld. In jedem Fall eine gute Idee.
Richards: Ich denk mal drüber nach.